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Der Nutzen als Maß aller Dinge

Prof. Dr. Karl Ludwig Resch, Leiter des Deutschen Instituts für Gesundheitsforschung gmbH, erzählt ÄRZTE EXKLUSIV unter anderem, dass die heimische „Bäderfamilie“ im Vorteil ist, was verloren geht und warum er auf ein Revival des „inneren Arztes“ setzt und die Selbstheilungskräfte des Menschen unterstützt.


Foto: ZVG

Für ein Medizinstudium habe ich mich entschieden, weil ... ich überzeugt war, dass man nur als Pfarrer oder als Landarzt seine „Schäfchen“ gut genug kennenlernt, um – unter Einbeziehung des Erlernten und der konkreten Umstände – in der Lage zu sein, für den Einzelnen die für ihn beste Entscheidung zu treffen. Dabei war mir klar, dass mir die Medizin die „handfesteren“ fachlichen Kompetenzen würde anbieten können.

Forschungen im Bereich Balneologie und Kurortwissenschaft sind ... aus zwei Gründen benachteiligt: Erstens, wer eine wissenschaftliche Karriere anstrebt, entscheidet sich aus naheliegenden Gründen fast immer für ein Fachgebiet bzw. ein Thema, das an (s)einer Universität(sklinik) angesiedelt ist. Dann kann er ärztliche Tätigkeit und Forschung bestens verbinden und hat technischen und organisatorischen Support und einen wissenschaftlichen Mentor „im Hause“. Zweitens: Direkte und indirekte staatliche und privatwirtschaftliche Forschungsförderung finanziert Innovationen und patentierbare Lösungen – mit Fokus auf patentierbaren Substanzen (Medikamente) und Technik. Wasser, Luft, Klima und Milieuwechsel passen da schlecht ins System.

Von der Forschung im Bereich Kurwesen verspreche ich mir ... viel. Heilbäder und Kurorte waren einmal Kompetenzzentren der Mobilisation und des Trainings der Selbstheilungskräfte, als man nur wenig Wissen um spezifische Effekte hatte. Heute ist das Pendel in die andere Richtung ausgeschlagen, „moderne“, leitliniengeprägte Medizin setzt ausschließlich auf den „äußeren Arzt“, der Patient ist – nomen est omen – zum passiven Objekt fachlicher Bemühungen reduziert. Ein Revival der kurörtlichen Medizin, des „inneren Arztes“, unter Einbeziehung moderner Forschungsmethoden könnte beinahe schon vorhersagbar in vielen Bereichen den biomedizinischen Ansatz ergänzen und brachliegende therapeutische Ressourcen mobilisieren.
Der Unterschied von österreichischem und deutschem Kurwesen liegt in ... der unterschiedlichen Stärke ihrer Verbände mit mehr als deutlichen Vorteilen für das österreichische Kurwesen. Ein aus strukturellen Gründen, insbesondere dem Vorkommen der natürlichen Heilmittel, dezentral angesiedelter Bereich der Medizin, der zudem getragen ist von KMUs, kleinen und kleinsten Unternehmen mit Schwerpunkt Dienstleistung, braucht den organisierten Zusammenhalt und Austausch – das was man früher – wenig sexy, aber sehr erfolgreich – „Bäderfamilie“ nannte.

Das Thema Moor im Kurwesen ist ... vor dem Hintergrund der Sparzwänge der Sozialversicherungsmedizin einerseits und fanatischem Naturschutz andererseits in seiner Existenz bedroht. Dadurch sind entscheidende therapeutische Optionen und Behandlungsansätze bereits in Vergessenheit geraten oder stehen kurz davor, verloren zu gehen. Übriggeblieben ist die Hyperthermie als steriler, eindimensionaler Behandlungsansatz.

Osteopathie ist ... ein ursprünglich im „Wilden Westen“ des 19. Jahrhunderts entstandener, eigenständiger medizinischer Ansatz, den eine enge Wesensverwandtschaft mit der klassischen (kurörtlichen) Naturheilkunde auszeichnet. Über die biomechanischen Ansätze von Chiropraktik/manueller Medizin hinaus steht die Unterstützung der Selbstheilungskräfte im Mittelpunkt der Bemühungen. Empirische Erfolge auch im Bereich der Inneren Medizin finden in allerjüngster Zeit ihre unvoreingenommene wissenschaftliche Begründung, zum Beispiel durch die Faszienforschung oder die Psychoneuroimmunologie.

Ganzheitliche Gesundheitsaspekte sind ... mehr als der von Fachgremien und Gesundheitsbehörden definierte Bedarf an medizinischen Leistungen, der zudem noch durch vielfältige, gut organisierte wirtschaftliche Interessen verzerrt wird. Ganzheitliche Gesundheitsaspekte spiegeln die Perspektive des Einzelnen wider, seinen individuellen Bedarf auf der Basis seiner Bedürfnisse in seinem Lebenskontext und seiner Ziele, Präferenzen, Möglichkeiten und Limitationen.

Für ein unterschätztes Thema halte ich ... medizinische und Forschungsansätze, die nicht dem Efficacy-Prinzip des virtuosen Solisten folgen – „wer kann’s am besten“ –, sondern dem Effectiveness-Prinzip des gefühlvollen Zusammenspiels eines großen Orchesters – „wer schafft die Harmonie“ –, bei denen der Nutzen das Maß der Dinge ist.

Was sich in der Ausbildung im Bereich Balneologie und Kurwesen ändern sollte, ist ... eine ihrer Bedeutung entsprechende Ergänzung des biomedizinischen Ansatzes mit seinen paradigmatisch monokausalen und unidirektionalen Ursache-Wirkungsbeziehungen durch einen regulationsmedizinischen Ansatz, dessen zentrales Ziel die Homöostase eines individuellen, komplexen Systems ist.

Für die Zukunft der Balneologie und des Kurwesens wünsche ich mir, ... dass der Wandel von einem vermeintlich überkommenen medizinischen Ansatz zu einer zukunftsorientierten, medizinisch relevanten Disziplin mit großen therapeutischen und wissenschaftlichen Reserven gelingt.

Den Ausgleich zu meinem Beruf finde ich … in der Familie, mit unserem Hund Lucy, beim Musik machen, in der Unterstützung von Menschen, die ohne akademisches Medizinstudium und ohne institutionelle Unterstützung professionelle osteopathische Forschungsprojekte realisieren wollen, und im Garten und in meiner Schreinerwerkstatt.     bw


Prof. Dr. Karl-Ludwig Resch wurde 1956 in Aachen geboren, absolvierte sein Medizinstudium 1981 bis 1987 an der Universität zu Köln und an der Ludwig-Maximilians-Universität München, habilitierte sich 1996 an der Medizinischen Universität Wien und übernahm im selben Jahr als Direktor die Leitung des Forschungsinstituts für Balneologie und Kurortwissenschaft in Bad Elster. Das Institut, eine nachgeordnete Einrichtung des Freistaates Sachsen, wurde 2006 im Rahmen einer Verwaltungsreform geschlossen. Anfang 2007 gründete er das Deutsche Institut für Gesundheitsforschung. Wissenschaftliche Schwerpunkte sind seither neben klinischer Forschung zu nicht-pharmakologischen Interventionsverfahren in den Versorgungsbereichen Prävention, Rehabilitation und Pflege sowie die Entwicklung und Evaluation von Strategien/Konzepten zur Implementierung von evidenz-basierten Präventions- und Behandlungsmaßnahmen in den Alltag Beratung und Entwicklung wirtschaftlich tragfähiger Konzepte und Produkte und kurörtliche Unternehmen im Bereich des Zweiten Gesundheitsmarkts.
www.d-i-g.org bzw. www.cochrane.de/de/fbk-deutsches-institut-f%C3%BCr-
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