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Depots statt tägliche Tablette

Depot-Anti-Psychotika waren in der Vergangenheit keineswegs beliebt. Die Vorteile seitens der Medizin liegen aber auf der Hand: beste Therapiekontrolle, gleichmäßigere Wirkstofffreisetzung, kein First-Pass-Effekt.


Foto: istockphoto

Wer Schizophrenie einfach definieren soll, hat es schwer, denn die Schizophrenie existiert nicht. Allenfalls ist sie eine Art Konzept, ein vielschichtiger Krankheitszustand, bei dem mit Medikamenten nur bestimmte Zielsymptome erreichbar sind. „Die medikamentöse Behandlung kann daher immer nur ein Teil einer zum Ziel führenden Schizophrenie-Therapie sein“, erklärt der Chefarzt des Wiener Psychosozialen Dienstes Dr. Georg Psota. Es wäre hier fast der Begriff Schizophrenie-Management besser angebracht, denn die Chemie wird durch Psycho- und Soziotherapie ergänzt. Dennoch: Ganz ohne Pharmakotherapie geht es nicht. Auch, wenn sich viele Patienten genau das wünschen.

Gemeinsame Therapievereinbarung

Die Therapeuten haben es mit den Wünschen der Patienten nicht leicht. Adhärenz nennen sie das Konzept, das in einer umfassenderen Form den alten Compliance-Begriff ersetzt hat, der für Therapietreue stand, also eher dem Gehorsam nahe war als dem eigenverantwortlichen Verständnis, an der Therapie mitzuwirken. Genau darum geht es aber, die Wünsche und persönlichen Lebensumstände des Patienten bestmöglich einzubinden, daraus eine gemeinsame Therapievereinbarung zu entwickeln, der Arzt und Patient folgen. Das ist ein extrem wichtiges Thema, denn die Studienzahlen zur Non-Adhärenz bezüglich der Medikation sind wenig ermutigend. Nach spätestens zwölf Monaten haben sich 50 % der Patienten von den Tabletten „verabschiedet“, nach zwei Jahren folgen nur mehr 25 % der Medikation. Hier setzt die Depotmedikation an einem sehr sensiblen Punkt positiv an. Die Patienten sind von der täglichen Tabletteneinnahme befreit. Allerdings stellt die „Manipulation mit der Nadel“ einen sehr offensichtlichen Einbruch in die körperliche Integrität dar, die für manche Betroffene eine erhebliche Hürde darstellt.

Rückfälle vermeiden

Die Tendenz, sich nicht non-adhärent zu verhalten, gefährdet naturgemäß das Langzeitziel einer Stabilisierung des Zustandes. Nur 14 % der Patienten erreichen dieses Ziel in idealer Weise. Entscheidend für einen möglichst guten Erfolg sind die frühzeitige Intervention und der multimodale Ansatz, in dem die konstante medikamentöse Therapie von komplementären Maßnahmen ergänzt wird: Motivation, Psychoedukation, Soziotherapie, kognitive Verhaltenstherapie und systemische Therapie. Oberstes Ziel ist, das Funktionsniveau des Patienten zu erhalten. Zwei Drittel aller Schizophrenien zeigen einen chronisch-rezidivierenden Verlauf. Das bedingt eine jahrelange Pharmakotherapie, um Rückfälle zu vermeiden. Ein medikamentenfreies Intervall bei gleichzeitiger Symptomfreiheit sieht Psota allerdings nicht als Alternative zur rückfallprophylaktischen Dauermedikation.
Das ist in Summe das Rational, das eine Depotmedikation geradezu aufdrängt. Sie sorgt für eine zuverlässigere, gleichmäßigere Wirkstofffreisetzung, die Einnahme des Wirkstoffs steht unter direkter Kontrolle und das bietet einen besseren Outcome, das Risiko einer Überdosierung ist damit reduziert, der First-Pass-Effekt in der Leber entfällt, die Plasmaspiegel bleiben konstanter und damit die Bioverfügbarkeit und last but not least ermöglichen die Spritzentermine einen regelmäßigen Kontakt mit den Patienten. Nicht zuletzt sind unter Depotmedikation auch die Dyskinesien geringer ausgebildet.

Mehr Lebensqualität für Patienten

Berücksichtigt werden sollte in der Auswahl des Präparats dennoch, dass – im Gegensatz zu anderen medikamentösen Darreichungsformen – die intramuskuläre Injektion bei psychiatrischen Patienten doch mit einem Mehr an Ängsten verbunden ist. Man kann sich das in einer Reserviertheit gegenüber nicht selbst kontrollierbarer chemischer Manipulation vorstellen, also einer Art Misstrauen. Daher soll immer geprüft werden, ob – trotz der vielen Vorteile – die parenterale Medikation notwendig ist oder man mit Tabletten das Auslangen findet. Weiters sollte bedacht werden, dass man bei einem größeren Injektionsvolumen vorzugsweise gluteal appliziert. Interessant sind auch die Ergebnisse einer Befragung bei Ärzten und Patienten zu ihrer Einstellung in Bezug auf die Depot-Medikation. So lag die generelle Akzeptanz auf Patientenseite bei rund 40 %. In Abhängigkeit von der persönlichen „Depoterfahrung“ der Patienten wurden die Vorteile dieses Behandlungsregimes auch positiver bewertet. Die „Hitliste der Vorteile“ wurde patientenseitig von „sicherer Wirksamkeit“ und „höherem Komfort bei der Einnahme“ angeführt.
Ärzte, die sich gegen die Depots aussprachen, waren häufig der Meinung, die Patienten würden auch bei Tabletten eine ausreichend gute Compliance zeigen. Allerdings informierten nur 35,5 % der Ärzte ihre schizophrenen Patienten jemals über die Möglichkeiten und Vorteile einer Depotgabe. Und es scheint eine Art Generationsschwelle in der Befürwortung der Depottherapie zu geben, die beim 50. Lebensjahr lag. Jüngere Kollegen waren reservierter eingestellt. Mangelnde Routine im Umgang mit Injektionen kann unter Umständen auch eine ärztliche Hemmschwelle darstellen. Aus seiner Sicht des Sozialpsychiaters unterstützt Psota klar die Forderung nach depotneuroleptischer Behandlung. Nicht zuletzt im Sinne einer stark verbesserten Lebensqualität der Patienten, die nach seiner langjährigen Erfahrung in der Realität noch deutlich höher bewertet werden kann, als das in Studien erhoben wird.               ws