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Chronischer Tinnitus: Geht nicht, gibt’s nicht!

Das Zentrum für Tinnitus und Hyperakusis in St. Pölten ist für Patienten aller Ausprägungen und Schweregrade ein kompetenter Ansprechpartner.


foto: zvg

Auf Initiative von HNO-Facharzt Dr. Johannes Schobel arbeitet in St. Pölten ein Team von Spezialisten aus den Bereichen HNO, Akustik und Psychologie an einer individuellen Therapie für Betroffene. Die Experten wissen, dass sich Tinnitus bei vielen Patienten durch die Anpassung spezifisch programmierter Hörgeräte schlagartig unterdrücken lässt. Den Weg dorthin beschreibt Dr. Johannes Schobel im Interview.

Wie hoch ist der Anteil der von Tinnitus Betroffenen?

Weltweit kennen rund 30 bis 45 % der Erwachsenen das Phänomen eines Sekundentinnituts, bei 10 % halten die Beschwerden länger an, für 8 % bedeuten die Ohrgeräusche eine mäßige bis heftige Belastung. Ein wirklich hoher Leidensdruck, der die Lebensqualität massiv vermindert, trifft etwa 1 % der Bevölkerung.

Wie entsteht Tinnitus?
Auch bei absoluter äußerer Stille ist unser Innenohr ein überraschend lauter Ort, in dem laufend sogenannte „Otoakustische Emissionen“ produziert werden. Unser Gehirn hat aber gelernt, diesen Erregungseinstrom eines gesunden Innenohres als „Stille“ zu interpretieren. Jede Veränderung dieses Signalmusters aus dem Innenohr kann Tinnitus auslösen. Die zentralen Hörkerne der Hörbahn haben eine ausgesprochene Filterfunktion, sie wählen aus, welche Signale bewusst verarbeitet werden. Sind diese Filter gestört, entsteht Tinnitus. Akute Auslöser können ein Hörsturz oder Knalltrauma sein.

Welche Grunderkrankungen können Tinnitus begünstigen?
Tinnitus kann als eigenständige monosymptomatische Krankheit auftreten, ist aber oft ein Symptom einer anderen Krankheit. Dazu zählen Hörsturz, Lärm- oder Altersschwerhörigkeit, Mittelohrentzündung oder Stoffwechselerkrankungen wie etwa Diabetes. Selten ist ein Tumor die Ursache. Bei jüngeren Patienten sind Stress, Burnout und Lärm die Hauptauslöser, häufig und oft unbekannt sind seelische Kränkungen als Ursache festzumachen. In zwei Drittel der Fälle treten die Ohrgeräusche beidseitig auf.

Ist Prävention möglich?

Ja, im Wesentlichen durch die Vermeidung von Lärm und Stressfaktoren.

Welche Rolle spielt Schwerhörigkeit?
In Übereinstimmung mit aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten wissen wir, dass gerade der Wegfall von peripherer Information, wie er bei jeder Schwerhörigkeit vorliegt, entscheidend für die Auslösung von Tinnitus ist. Der Ausgleich und die Korrektur einer Schwerhörigkeit, auch wenn sie vom Betroffenen noch unbemerkt bleibt, ist daher von entscheidender Bedeutung in der Tinnitus-Therapie.

Worin liegt der Unterschied zwischen einem akuten und einem chronischen Tinnitus?
Die Akuttherapie besteht aus durchblutungsverbessernden Infusionen und Cortison in absteigender Dosierung. Eine Hospitalisation des Patienten kann sinnvoll sein, schon alleine um den Patienten von Stressfaktoren aus dem privaten oder beruflichen Umfeld abzuschirmen. Bringt die Akuttherapie nicht den gewünschten Erfolg, kann eine rasche Versorgung mit Noisern oder Kombinationsgeräten indiziert sein.
Die Therapie von Tinnitus erreicht bei uns über ein abgestuftes Behandlungskonzept eine hohe Erfolgsquote. In manchen Fällen genügen einfache verhaltenstherapeutische Maßnahmen, um den Tinnitus in den Hintergrund zu drängen, in den meisten anderen Fällen bringt eine komplette Retraining-Therapie den gewünschten Erfolg.

Gibt es nun tatsächlich wirksame Behandlungsmöglichkeiten?
Viele Patienten werden durch fachlich unrichtige Aussagen – „es gibt keine Therapie“ – verunsichert und auch traumatisiert. Bei akuten Ohrgeräuschen ist eine völlige Heilung in vielen Fällen möglich. Bei einem chronischen Tinnitusleiden ist eine „Heilung“ definitionsgemäß nicht zu erwarten, jedoch tritt bei vielen Patienten eine so weitgehende Besserung ein, dass sie den Tinnitus kaum noch hören beziehungsweise sich durch ihn nicht mehr belästigt fühlen.

Wie sieht die Therapie des chronischen Tinnitus aus?

Das erreichen wir einerseits mit Hörgeräten, die – richtig eingestellt – einen Tinnitus überlagern können. Geräusche klingen zu Beginn etwas unnatürlich, aber der Tinnitus ist nicht mehr oder nur mehr sehr leise zu hören. Mithilfe von Rauschgeneratoren, sogenannten Noisern, können wir Gegengeräusche erzeugen, die einen angenehmen Kontrast zum Tinnitus darstellen und diesen in den Hintergrund drängen. Wir haben in unserem Tinnituszentrum frühzeitig begonnen, zusätzlich zum reinen Noiser auch Kombinationsgeräte, also Hörgeräte mit integriertem Noiser einzusetzen. Wichtig ist immer die Zusammenarbeit mit Akustikern, um die Geräte optimal auf die Hörkurve anzupassen.

Warum ist die frühe Behandlung wichtig?
Weil nur im Frühstadium – das sind bis zu maximal drei Monate – eine medikamentöse Therapie möglich ist.

Woher kommen Ihre Patienten und was erwartet sie im Tinnituszentrum?
Patienten suchen dann Hilfe, wenn der Leidensdruck unerträglich wird. Die meisten Patienten kommen dann aufgrund von Überweisung vom Allgemeinmediziner, manche auch von Fachkollegen. Der erste Besuch im Tinnituszentrum dauert etwa eine Stunde. Dabei erfolgen die Erhebung der Anamnese sowie Hörtests und eine umfassende Aufklärung über die Tinnitus-Therapieoptionen. Es folgt eine medizinische Abklärung einer möglichen Grundkrankheit und Themen wie Stressreduktion oder Lärmvermeidung werden mit den Patienten besprochen. Ergänzend kommen bei Bedarf psychologische Entspannungstechniken wie Biofeedback und Neurofeedback zum Einsatz.

Wie hoch sind die Erfolgsaussichten?
Wir konnten bei der retrospektiven Untersuchung unserer Patienten zeigen, dass sich der Leidensdruck unserer Patienten im Schnitt auf einer zehnteiligen Skala, wobei zehn Punkte einen unerträglichen Leidensdruck darstellen, innerhalb von durchschnittlich sieben Monaten von ursprünglich 6,7 Punkten auf 2,6 Punkte mehr als halbierte.  

Welche Folgeerkrankungen beobachten Sie bei den Patienten?
Das reicht von Angst und Schlafstörungen bis zu schweren psychischen Belastungsstörungen. Begleiterkrankungen sind fast immer eine hohe Lärmempfindlichkeit, aber auch steigender Blutdruck und Stresssymptome.

Info & Kontakt:
Dr. Johannes Schobel
Tel.: 02742/35 43 22
tinnituszentrum(at)schobel.at
www.tinnituszentrum.at