Braucht Gesundheit Marken?
Marken begeistern Konsumenten und geben Orientierung im Dschungel der Angebote. Sie stellen den zentralen immateriellen Wertschöpfungsfaktor in einem Unternehmen dar. Was davon ist auf die Gesundheitsbranche – und im engeren Sinn gar auf die Medizin – übertragbar?
Wozu brauchen Gesundheitsleistungen eine konsequente Markenpolitik? Die Frage ist nicht von der Hand zu weisen, denn schließlich passiert „Kranksein“ ohnehin von selbst und übervolle Ambulanzen und Wartezimmer legen den Schluss nahe, dass hier keine Aktivitäten zur Steigerung der Kundenattraktivität im Sinne von Begeisterung, Kundenbindung oder Leistungsorientierung notwendig sind. Was auf den ersten Blick also wie ein Widerspruch wirkt, birgt bei näherem Hinsehen ein Potenzial an zukunftsweisenden Themen. Ob es kaufkräftige Senioren sind, die ihren Lebensabend gesund und vital verbringen wollen, oder Privatpatienten, die für ein Plus an Versorgung durchaus bereit sind, tiefer in die Tasche zu greifen – das Feld für eine konsequente Markenpolitik ist auch im Gesundheitssektor durchaus weit.
Raus aus der Anonymität
Produkte zu kennzeichnen – also zu „markieren“ – hat schon seit Jahrhunderten Tradition, wurden doch damals schon die Ziegelsteine von Pharaonengräbern mit Symbolen ihrer Herkunft versehen. Auch moderne Marken sind nichts anderes als die Kennzeichnung der „Herkunft“ eines Produktes und damit das Abheben aus einer anonymen Masse von vielen ähnlichen Angeboten. Marken kommunizieren einfach und auf einer emotionalen Ebene: Wer bin ich, was kann ich und was darf ein Käufer von mir erwarten. Die Gesellschaft zur Erforschung von Markenwesen hat bereits im Jahr 2003 eine Definition erarbeitet, die diese Fragen zusammenfasst: „Marken sind Leistungen, die neben einer unterscheidungsfähigen Markierung durch ein systematisches Absatzkonzept im Markt ein Qualitätsversprechen geben, das eine dauerhafte werthaltige, nutzenstiftende Wirkung erzielt und bei der relevanten Zielgruppe in der Erfüllung der Kundenerwartungen einen nachhaltigen Erfolg im Markt realisieren kann.“ Damit wird klar, dass Marken dem Konsumenten weitaus mehr bieten, als es nur das reine Produkt oder die Leistung kann, vorausgesetzt, sie löst bei der Zielgruppe eine positive Wirkung aus. Warum das auch im Gesundheitswesen zunehmend von großer Bedeutung ist, erklärt Dr. Stefan Dinges, Medizinethiker und Organisationsberater.
Warum brauchen Gesundheitseinrichtungen Markenstrategien und welche Ziele werden damit verfolgt?
Dinges: Eine Marke zu prägen und zu pflegen, dient der internen und externen Kommunikation: Mitarbeiter und Kunden werden auf einer sachlichen, aber vor allem auch auf einer emotionalen Ebene an ein Produkt oder eine Dienstleistung und deren Qualität und Kompetenz gebunden. Wenn wir berücksichtigen, dass das „Produkt“ der Gesundheitseinrichtungen die Wiederherstellung von Gesundheit ist und dazu das Engagement, die Kooperation des „Kunden“ – nämlich des Patienten – notwendig ist, dann ist ein wesentliches Ziel von Markenstrategien einer Gesundheitseinrichtung Vertrauen aufzubauen: Vertrauen auf die Kompetenz der Einrichtung und der Mitarbeiter, Vertrauen darauf, dass ich hier als Patient gut aufgehoben bin.
Marken dienen im Wesentlichen der Orientierungshilfe – wie kann so eine Orientierungshilfe im Gesundheitssektor aussehen?
Im Gesundheitssektor sind in Österreich insbesondere die Krankenhäuser, manchmal auch der Träger wie etwa „Die Brüder“ oder „Das Kaiser-Franz-Josef …“, die Marke in der Gesundheitsversorgung – und jahrzehntelang wurde diesen „Marken“ fast blind vertraut. Je mündiger und verantwortlicher Patienten werden und je komplexer Versorgungsprozesse sind, desto wichtiger werden konkrete „Markenwerte“ bzw. „Markenqualität“, die schnell nachvollziehbar und nachprüfbar gestaltet sind. Als Orientierungshilfe gilt es, diese Informationen schnell erreichbar und möglichst vielen zugänglich zu machen und sie regelmäßig nach transparenten Kriterien zu evaluieren. Markenstrategien gehen dann auf, wenn ihnen von allen Beteiligten „geglaubt“ wird.
Marken bieten einen Zusatznutzen zur eigentlichen Leistung – wie kann ein „added value“ zum Beispiel in einem Spital aussehen?
Eine Marke bzw. eine bestimmte Markenqualität fordert dazu heraus, sich und anderen kontinuierlich der Qualität und Inhalte zu vergewissern: Die wichtigsten Botschafter einer Marke sind die Mitarbeiter eines Krankenhauses, einer Arztpraxis oder einer Altenpflegeeinrichtung. Wenn heute Pflegekräfte sagen, sie würden einem Angehörigen die eigene Einrichtung keinesfalls empfehlen, dann haben Sie eine wichtige Information über Pflege- und Behandlungsqualität und die Unternehmenskultur. Wenn Einrichtungen sich in dieser Hinsicht als „Marke“ verstehen, werden sie einiges daransetzen, zum Beispiel in Mitarbeiterorientierung zu investieren. Die Pflege der eigenen (Marken-)Qualität kann eine gemeinsame Aufmerksamkeit und Motivation von den Führungskräften über die Mitarbeiter bis hin zu den Patienten auslösen. Wenn zum Beispiel Händehygiene Teil der Markenqualität eines sicheren Krankenhauses ist, braucht es das Vorbild der Primarärzte, die Umsetzung bei Medizin und Pflege sowie das Einfordern der Patienten …
Wie müssen Marken gestaltet sein, damit sie Patienten begeistern?
Die Marke sollte einfach und glaubwürdig sein. Gute Marken beziehen sich auf ein Erleben oder beschreiben ein Erlebnis, das für andere nachzuerleben ist – so wie ein Auto, das mit „Spaß am Fahren“ beworben wird, jedem Fahrer ein solches Gefühl vermitteln möchte. Markengestaltung ist also etwas sehr Emotionales – und braucht gleichzeitig ein nachvollziehbares Faktengerüst, wie beim Auto PS oder Beschleunigung: Zum Beispiel Zeit und Beratung im Aufklärungsgespräch, Beachten der Patientenautonomie, aber auch die durchschnittliche Verweildauer oder Anzahl und Outcome durchgeführter OPs können Bestandteile von Markenqualität sein und positive oder negative Erlebnisse auslösen.
Wie können Marken im Gesundheitswesen aktuell gehalten werden und welchen Trends müssen sie folgen?
Marken leben von einer kontinuierlichen Pflege, zum Beispiel der kontinuierlichen Sicherung der Behandlungsqualität. Aktuelle Themen, die hier einfließen können, sind verstärkte Prävention statt Reparatur, ein ganzheitliches Menschenbild statt fragmentierter Symptomkontrolle. In Österreich gibt es auch Platz für Markenqualität in der Versorgung alter und hochbetagter Menschen!
Wer ist für ein „Markenprojekt“ bzw. seine Positionierung in einer Gesundheitseinrichtung zuständig?
Ein Markenprojekt steht und fällt mit der Entschiedenheit der Führung und braucht die Mitarbeiter als Markenbotschafter, das Vertrauen der Patienten und eine glaubwürdige Leistung auf dem Gesundheitsmarkt.
Wie und wo startet ein Markenprojekt in einer Gesundheitseinrichtung?
Markenqualität startet immer mit der Frage, was macht uns unverwechselbar – dann: Wer muss davon wissen und woran merken wir, dass unserer Marke geglaubt wird?! Manchmal ist das, was die Marke ausmacht, schon sehr alt, in der (Gründungs-) Geschichte, in einer Gründungsidee zu finden – „erschwingliche Gesundheit für alle“, Frauengesundheit etc. Andererseits kann auch eine bestimmte Innovation Bestandteil einer Marke sein, zum Beispiel die unblutige OP.
Welche Investitionen sind im ersten Jahr erforderlich und wann ist ein ROI zu erwarten?
Die finanzielle Investition muss nicht hoch sein, wenn die Markenbotschaft überzeugend und klar ist. Ohne Botschaft und Unverwechselbarkeit auf dem Markt gibt es keine Marke. Die Mitarbeiter sind über interne Kommunikation wesentlich mit einzubeziehen und sind als personelle Investition Teil des Erfolgs. Hochglanzbroschüren oder teure Berater schaffen auch keine mentale Verankerung beim Kunden – Transparenz und wiederholbare Erlebnisse sind unverzichtbar!
Welcher Zeithorizont bis zu einem messbaren Erfolg ist zu erwarten?
Eine gute Markenstrategie achtet auf einen „quick win“ innerhalb von sechs Monaten. Am ehesten wird das im Bereich der Mitarbeiter zu erreichen sein. Ich würde raten, nicht allein auf Mitarbeiterzufriedenheit zurückzugreifen. Aber die Mitarbeiterverweildauer könnte so ein Indikator sein, ebenso wie die Anzahl der Initiativbewerbungen oder die Zeit, in der offene Stellen qualifiziert nachbesetzt werden können. Eine Markenetablierung kann auch eine mittelfristige Strategie sein, die zwischen drei und fünf Jahre – vergleichbar mit der Gestaltung von Organisationskultur – braucht, verbunden mit einem entsprechend langen Atem.
Wie erfolgt die Erfolgsmessung?
Eigentlich sagt die Markenphilosophie, es kann immer nur eine Marke in einem Bereich geben – insofern ist Erfolg, wenn gute medizinische Versorgung bzw. Leistung fix mit einer Einrichtung, einem Träger oder einem Team verbunden ist. Jedenfalls sollte der Erfolg nicht nur im Materiellen, sondern auch im Immateriellen gemessen werden und aus möglichst unterschiedlichen Perspektiven.



