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Ausgeboombt

Österreichische Aktien werden schon seit Längerem verschmäht – viele zu Unrecht. Denn die Unternehmen stehen heute wesentlich besser da als vor der letzten Krise.


Die Stimmung an der Wiener Börse ist so trist wie schon lange nicht. Die Risikoaversion gegenüber Aktien generell, aber auch hausgemachte Probleme lassen die Kurse in den Keller rasseln. Seit Jahresbeginn hat der Leitindex ATX fast ein Drittel auf unter 2.000 Punkte eingebüßt – und damit deutlich mehr als die etablierten Finanzmärkte. Nur Griechenland schneidet im bisherigen Jahresverlauf noch schlechter als Wien ab.

Das Ende der Talfahrt

Die brennende Frage, die sich Analysten, Fondsmanager und vor allem Anleger stellen: Ist das Ende der Talfahrt nunmehr erreicht? Niemand wagt diese Frage mit einem klaren Ja zu beantworten. Solange die Schuldenkrise in den Peripherieländern Europas nicht gelöst und die Angst vor einer neuerlichen Rezession nicht gebannt ist, wird die Unsicherheit an den Finanzmärkten und damit die hohe Volatilität der Kurse vermutlich anhalten. Österreichische Aktien sind mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von acht und einem Kurs-Buchwert von 0,9 derart günstig bewertet, dass es sich bei einer ganzen Reihe von Titeln lohnt, auf diesem tiefen Niveau zuzugreifen.
Eigentlich hatte das laufende Jahr durchaus vielversprechend begonnen. Die 3.000-Punkte-Marke im ATX war schon zum Greifen nah. Erstmals seit 2007 hatte sich mit dem Aluminiumspezialisten Amag sogar wieder ein Unternehmen an die Börse gewagt. Doch die Aktien waren nur zu einem reduzierten Emissionskurs im Markt unterzubringen. Am ersten Handelstag fiel der Kurs mehr als zehn Prozent und hat sich seither nicht erholt. Auch die anderen Kapitalmarkttransaktionen standen unter keinem guten Stern: Die Kapitalerhöhung der OMV und der Re-IPO des Faserkonzerns Lenzing konnten ebenfalls nur am unteren Ende der Preisspanne platziert werden. Der Photovoltaik-Zulieferer Isovoltaic zog seinen Börsengang überhaupt kurzerhand wieder zurück.
Schmerzvoll für die Anleger ist aber nicht nur der Kursverfall, sondern auch, dass die kleine Randbörse wieder in ihr chronisches Problem zurückgefallen ist – das Manko an Liquidität. Während 2007 noch 180 Milliarden Euro umgesetzt wurden, waren es 2010 nur noch 72 Milliarden Euro. Und in diesem Jahr geht es weiter bergab. Bis Ende Juli war es mit 46 Milliarden Euro ein Fünftel weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Denn die internationalen Investoren, die für drei Viertel des Umsatzes verantwortlich sind, haben dem österreichischen Aktienmarkt den Rücken gekehrt, nachdem ihr Interesse für Osteuropa deutlich abgekühlt ist. Zuletzt hat auch die Affäre um millionenschwere Geldflüsse von Telekom Austria die Investoren verstört.
Heimische Privatanleger wollen seit der Einführung der Vermögenszuwachssteuer zu Jahresbeginn ebenfalls keine Aktien mehr angreifen, nachdem Kursgewinne nunmehr unabhängig von der Behaltedauer mit 25 Prozent KESt belastet werden.
Wien leidet zudem darunter, dass Mid- und Small Caps in unsicheren Börsenzeiten nicht gefragt sind. Dazu kommt, dass Finanztitel, die fast 30 Prozent des Index ausmachen, von den Investoren schon seit Längerem links liegen gelassen werden. Die Bankensteuern in Österreich und Ungarn drücken die Gewinne, das Niveau fauler Kredite ist hoch. Es wird durch den eingefrorenen begünstigten Wechselkurs für ungarische Fremdwährungskredite neuerlich belastet. Auch die Eigenkapitalquoten sind im Hinblick auf die verschärften Unterlegungspflichten gemäß Basel III verbesserungswürdig.
Günther Artner, Co-Head CEE Equity Research, will nicht ausschließen, dass das Kursniveau von aktuell knapp unter 2.000 Punkten nicht noch einmal zehn Prozent absackt. Thomas Neuhold, Head of Austrian Equity Research der UniCredit Bank, glaubt, dass die Volatilität hoch bleiben wird, solange die europäische Schuldenkrise ungelöst bleibt. Günther Schmitt, Manager des Raiffeisen-Österreich-Aktien Fonds, ist zumindest deutlich zuversichtlicher. „Die Unternehmen beklagen bislang keine Rückgänge bei den Bestellungen und sie sind vor allem heute viel besser aufgestellt als vor der Finanzkrise.“ Er rechnet deshalb nicht mit so drastischen Gewinneinbrüchen wie 2009 – vorausgesetzt die Angst vor einer Rezession entwickelt sich nicht zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Die Anleger sollten die Tiefststände eher schon gesehen haben. Im weiteren Jahresverlauf könnten die Kurse im Schnitt wieder um zehn Prozent anziehen, hofft Schmitt.

Günstiges Bewertungsniveau

Nimmt man das durchschnittliche Bewertungsniveau des Wiener Aktienmarktes, so ist es zweifelsohne historisch günstig. „Der ATX notiert unter dem Buchwert des Eigenkapitals“, konstatiert Alois Wögerbauer, Geschäftsführer und Fondsmanager der 3 Banken-Generali Invest. „Eine derartige Situation hat es seit 1997 nur einmal gegeben, nämlich im Herbst 2008 nach der Lehman-Pleite.“ Nachdem es nicht falsch sein kann, ein gesundes Unternehmen unter seinem eigenkapitalmäßigen Buchwert zu kaufen, „scheint aus langfristigem Gesichtspunkt ein günstiger Einstiegszeitpunkt zu sein“, meint auch Neuhold. Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis von acht ist die Bewertung ebenfalls historisch niedrig. Sie könnte sich allerdings empfindlich erhöhen, wenn die Gewinnerwartungen weiter zurückgeschraubt werden. Schmitt von Raiffeisen Capital Management (RCM) sieht die Sache etwas lockerer: „So tief können die Gewinne nicht fallen, dass die Bewertungen teuer werden.“
Sollte sich die Krisenstimmung entspannen, könnten österreichische Aktien nach längerer Underperformance auch wieder Potenzial für eine Outperformance aufbauen. Längerfristig könnte auch das Thema Osteuropa wieder zu einem Zugpferd für die Wiener Börse werden, glaubt Fritz Erhart, Fondsmanager von Pioneer Investments Austria. Denn die Wachstumsaussichten in den CEE-Ländern sind zumeist wesentlich besser als in den westlichen Industriestaaten.

Attraktive Aktien

Attraktiv sind vor allem jene Unternehmen, die starke Bilanzen, niedrige Buchwerte, stabile Cashflows sowie nachhaltig attraktive Dividendenrenditen aufweisen und somit weitgehend krisenfest sind. Dazu gehören etwa die Österreichische Post mit knapp acht Prozent Dividendenrendite, die Immobilienaktien Immofinanz und Conwert, die weit unter ihren inneren Werten notieren. Der Faserkonzern Lenzig, der Kautschuk- und Kunststoffproduzent Semperit sowie der Aluminiumproduzent Amag zählen in ihren Segmenten zu den Weltmarktführern und haben sich resistenter gegen Krisen aufgestellt. Voestalpine erwirtschaftet die höchsten Margen im Vergleich zu den europäischen Mitbewerbern und eine überdurchschnittlich hohe Dividendenrendite. AT&S profitiert von der ungebrochenen Nachfrage nach Mobiltelefonen, Smart­phones und Tablets, Kapsch TrafficCom vom Trend vieler öffentlicher Auftraggeber, ihre Einnahmen durch Mautsysteme zu erhöhen. Der integrierte Öl- und Gaskonzern OMV ist auf aktuellem Niveau günstig bewertet.
Auch wenn diese Top-10 auf fundamentalen Überlegungen zu einem baldigen Einstieg verleiten, sollte man keinesfalls sein ganzes Pulver auf einmal verschießen, sondern lieber scheibchenweise zukaufen, bis sich der Nebel gelichtet hat.                     emb

Foto: bildagentur waldhäusl