Arzthaftung – Ausgewählte Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs
Mitte der 90er-Jahre wurde die Ärzteschaft relativ unvorbereitet von einer Welle an Haftungsprozessen erfasst, deren „Krone“ die neu entdeckte Rechtsfigur der mangelhaften Aufklärung war. Es brauchte einige Zeit, bis man sich den Anforderungen der neuen Rechtsprechung angepasst hatte.
Abgesehen von einigen spektakulären Fällen rund um die Thematik „unerwünschte Geburt“ und „Kind als Schaden“, hat sich die Lage heute normalisiert, die Rechtsprechung scheint gefestigt. Entsprechend ist der Versuch von unzufriedenen Patienten, sich im Prozess auf mangelhafte Aufklärung zu stützen, immer seltener erfolgreich. Ein Blick auf einige ausgewählte Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs der letzten Jahre bestätigt diesen Eindruck.
Allgemeine Chirurgie
Vorerfahrung des Operateurs
Der Patient litt an Divertikulose des Dickdarms mit Entzündungsschüben. Er entschied sich für einen laparoskopischen Eingriff zur Entfernung der Divertikel.
Behandlung: Die Operation war nahezu beendet, als bei Stillung einer darmnahen Blutung eine Darmwand verletzt wurde. Die Operation wurde daraufhin im offenen Verfahren fortgesetzt, das Leck übernäht und die Bauchwunde verschlossen. Zwei Tage später trat eine Bauchfellentzündung ein. Der Patient musste ein zweites Mal operiert werden, wobei er einen künstlichen Darmausgang bekam. Als fünf Tage nach der Zweitoperation Blut aus dem After austrat, wurde eine Darmspiegelung durchgeführt, mit der die Blutung gestillt wurde. Zu keinem Zeitpunkt bestand Lebensgefahr. Der Operateur hatte zuvor bereits mehr als 200 Dickdarmoperationen durchgeführt, darunter (aber nur) fünf laparoskopische Darmresektionen. Der Mann klagte Euro 30.000,– Schadenersatz ein mit der Begründung, er sei nicht über die mangelhafte Vorerfahrung des Chirurgen aufgeklärt worden.
Ergebnis: Ein vollkommenes Beherrschen der laparoskopischen Operationsmethode ist erst nach ca. 40 bis 50 derartigen Eingriffen anzunehmen. Der Chirurg verfügte aber über ausreichende allgemeine Operationserfahrung. Das Funktionieren des öffentlichen Gesundheitswesens bedingt auch, dass nicht jeder Patient darauf bestehen kann, nur von jenem Arzt operiert zu werden, der die allerbesten Voraussetzungen für ein geringstmögliches Operationsrisiko aufweist. Es muss einen bestimmten Ausbildungsstand geben, ab dem ein Chirurg seine erste und weitere Operationen durchführen kann. Sonst wäre es nicht möglich, dass Ärzte in ausreichender Zahl notwendige Erfahrungen sammeln können. Es bedurfte daher keiner Aufklärung über die Anzahl der bereits durchgeführten Operationen. Die Klage wurde abgewiesen.
Hinweis: Der Patient hat nicht nach der Vorerfahrung des Operateurs gefragt. Eine solche Frage hätte eine wahrheitsgemäße Antwort erfordert.
(OGH 4 Ob 166/08b)
Person des Operateurs
Während des Behandlungs- und Aufklärungsgesprächs vereinbarte der Arzt mit dem Patienten einen Operationstermin. Die Operation wurde dann aber nicht von ihm, sondern von einem anderen, im selben Krankenhaus beschäftigten Arzt – lege artis – durchgeführt. Der Patient begehrte Schmerzensgeld, weil die Operation durch den anderen Arzt ohne seine Einwilligung stattgefunden habe.
Ergebnis: Dem Patient steht bei Aufnahme in ein Krankenhaus nicht das Recht zu, nur von einem bestimmten Arzt operiert zu werden. Wurde die Operation aber durch einen bestimmten Arzt vereinbart, darf nur dieser die Operation durchführen. Im Festlegen eines Operationstermins liegt keine Zusage bzw. Vereinbarung eines bestimmten Operateurs. Die Klage wurde daher abgewiesen.
(OGH 7 Ob 208/08a)
Kniechirurgie
Infektionsvorsorge
Die Patientin, selbst Ärztin, bekam nach einer Operation am Knie eine Infektion.
Behandlung: Drei verabreichte Antibiotika erwiesen sich als unwirksam. Die mangelnde Eignung der Antibiotika ließ sich im Voraus nicht erkennen. Erst das Mittel „Fucidin“ schlug an. Die Patientin klagte Euro 40.000,– Schadenersatz ein, zuletzt mit der Begründung, man hätte ihr bereits vorbeugend vor der Operation Antibiotika geben müssen.
Ergebnis: Nach den in Fachkreisen anerkannten Regeln war eine vorbeugende Behandlung mit Antibiotika nicht geboten. Dass nur das Mittel „Fucidin“ wirken würde, war zu Beginn der Behandlung nicht bekannt und konnte auch nicht bekannt sein. Die Klage wurde daher abgewiesen.
(OGH 8 Ob 123/10m)
Kniescheibenersatzoperation
Die Patientin litt seit dem 18. Lebensjahr an Arthrose. Sie wurde bereits zweimal operiert, dennoch verschlechterte sich ihr Zustand und die Schmerzen wurden immer stärker, trotz Physiotherapie und massiver Medikation.
Behandlung: Die Patientin erhielt eine Kniescheibenteilprothese. Die Operation erfolgte lege artis, es trat aber eine periphere Nervenschädigung ein. Als Folge der Nervenschädigung entwickelte die Patientin ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS). Die Patientin klagte auf Schadenersatz. Sie sei zwar über die Möglichkeit einer peripheren Nervenschädigung aufgeklärt worden, nicht aber über die Folge des CRPS.
Ergebnis: Das CRPS ist keine typische Operationsfolge im Sinn eines dem Eingriff speziell anhaftenden Risikos, das auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das CRPS eine typische Folge einer peripheren Nervenschädigung ist, welche ihrerseits eine typische Folge der Kniescheibenersatzoperation ist. Die Klage wurde abgewiesen.
(OGH 4 Ob 212/09v)
Plastische ChirurgieFacelifting
Die 61-jährige Patientin wünschte ein Facelifting sowie eine Straffung des Doppelkinns. Das Ergebnis sollte möglichst natürlich sein.
Behandlung: Die Operation wurde lege artis durchgeführt und gelang, allerdings trat im Halsbereich ein Hämatom auf. Im Zuge der Nachbehandlung hätte dieses Hämatom unverzüglich ausgeräumt werden müssen, was aber unterblieb. Die Folgen konnten durch Lymphdrainagen nach einem halben Jahr beseitigt werden. Dennoch gefiel der Patientin das Ergebnis nicht. Sie forderte Schmerzensgeld wegen des Hämatoms (Euro 3.000,–), Ersatz der Kosten der Lymphdrainagen und Rückerstattung der Operationskosten (Euro 3.853,39).
Ergebnis: Das Schmerzensgeld und der Ersatz der Kosten für die Lymphdrainagen stehen der Patientin zu. Die subjektive Unzufriedenheit mit dem Ergebnis ist hingegen kein Grund, die Kosten der Operation zurückzufordern. Schließlich sollte das Ergebnis „natürlich“ aussehen, die Operation war insofern gelungen.
Hinweis: Die Entscheidung legt nahe, dass eine Patientin mit unrealistischen Erwartungen über das Ergebnis einer Operation darüber aufzuklären ist, dass sich ihre subjektiven Erwartungen möglicherweise nicht erfüllen werden. Mit 61 wird man nicht mehr wie mit 20 aussehen können. Vor Gericht ist das aber keine Selbstverständlichkeit.
(OGH 1 Ob 218/09d)
Lippen aufspritzen
Die Patientin wollte sich die Lippen aufspritzen lassen und entschied sich für das Präparat Artecoll. Sie bekam Granulome.
Behandlung: Mit der Patientin wurde ausführlich der Unterschied zwischen den Präparaten Hyaluronsäure und Artecoll besprochen. Ihr wurde mitgeteilt, dass bei Verwendung von Artecoll in ein bis zwei Prozent der Fälle Verhärtungen und Granulome auftreten können. Auf einen Allergietest zeigte die Patientin keine Reaktionen. Im Aufklärungsblatt, das die Patientin entgegen der Aufforderung ungelesen unterschrieb, fand sich der Hinweis, dass auftretende Granulome mit Cortison behandelt werden können. Als die Patientin später einen anderen Chirurgen aufsuchte, nahm dieser eine operative Entfernung der Granulome vor. Dass eine solche erforderlich werden könnte, war nie Gegenstand der Aufklärung. Die Patientin begehrte Schmerzensgeld und Rückzahlung des Honorars (gesamt ca. Euro 16.000,–).
Ergebnis: Die Klage wurde als unbegründet abgewiesen. Nach dem Stand der Wissenschaft zum Zeitpunkt der Aufklärung war nicht davon auszugehen, dass eine chirurgische Entfernung von Granulomen – mit deren Auftreten ohnehin nur im Promillebereich der Wahrscheinlichkeit zu rechnen war – vorzunehmen sein würde, da die operative Entfernung in der medizinischen Literatur nicht empfohlen, vereinzelt sogar als kontraindiziert beschrieben wurde und jedenfalls nur als ultima ratio in Betracht kam.
Hinweis: Auch über Behandlungsmöglichkeiten von ungewünschten Operationsfolgen ist aufzuklären. Diese Aufklärung braucht sich aber „nur“ auf primäre, nicht jedoch entfernte und nachrangige Therapievarianten zu erstrecken.
(OGH 4 Ob 12/10h)
Augenheilkunde
Kontaktlinsen für Kinder
Eine Mutter suchte mit ihrer 13 Monate alten, an Trisomie 21 leidenden Tochter die Ordination auf, um die Kurzsichtigkeit des Mädchens behandeln zu lassen.
Behandlung: Der Augenarzt stellte ein Rezept für Kontaktlinsen aus. Eine Woche später stellte der Vater, ein Zahnarzt, gerötete Augen fest. Die Mutter kam erneut mit ihrer Tochter in die Ordination, wo man die rechte Kontaktlinse entfernte; die linke fand man nicht und nahm an, sie sei bereits aus dem Auge gerieben. In den nächsten Tagen verschlechterte sich der Zustand. Im Krankenhaus fand man schließlich die Linse im rechten Auge und stellte eine Hornhautperforation fest, die operativ saniert werden musste. Die Eltern klagten für die Tochter Euro 20.500,– Schmerzensgeld mit der Begründung ein, sie seien nicht über allfällige Risiken von Kontaktlinsen aufgeklärt worden. Der beklagte Augenarzt argumentierte, der Vater als Zahnarzt habe über die Risiken Bescheid wissen müssen.
Ergebnis: Der Oberste Gerichtshof hielt die Klage für grundsätzlich berechtigt. Fehlt einem Minderjährigen die Einsichts- und Urteilsunfähigkeit, bedarf die Behandlung der Zustimmung eines Elternteils. Sind beide Eltern mit der Obsorge betraut, reicht die Zustimmung von einem. Eine gerichtliche Genehmigung ist nicht erforderlich. Adressat der Aufklärung ist jener Elternteil, der in der Ordination anwesend ist und die Zustimmung erteilt. Auf den Wissensstand des abwesenden Elternteils kommt es nicht an. Die in der Ordination anwesende Mutter hätte über das Risiko einer Hornhautperforation informiert werden müssen. Dies ist nicht geschehen.
Hinweis: Das bedeutet noch nicht endgültig die Haftung des Augenarztes. Im weiteren Verfahren ist festzustellen, ob die Mutter bei gehöriger Aufklärung über das Risiko der Hornhautperforation nicht ebenso in die Behandlung mit Kontaktlinsen eingewilligt hätte. Falls dem so ist, scheidet eine Haftung aus. Der Aufklärungsmangel hätte sich dann nicht ausgewirkt.
(OGH 4 Ob 87/08k)
Gynäkologie
Drohende Eklampsie
Die Patientin war mit ihrem vierten Kind schwanger. Sowohl der Blutdruck (195/110) als auch die Eiweißausscheidung („+++“) waren wesentlich überhöht und deuteten zusammen mit Schwellungen durch Wasser im Gesicht auf eine drohende Eklampsie hin.
Behandlung: Die Schwangere wurde mit der Diagnose „drohende Eklampsie“ in ein Krankenhaus eingewiesen. Als sie ausdrücklich erklärte, nicht zu gehen, wurde sie über die möglichen Folgen einer Eklampsie (Krämpfe, Blutungen, Gefahr für das Kind) informiert und ihr wurde empfohlen, zumindest Bettruhe einzuhalten. Am Nachmittag kam die Frau wieder, weil starke Schmerzen im Oberbauch aufgetreten waren. Der Gynäkologe empfahl ihr daraufhin nochmals, dringend das Krankenhaus aufzusuchen, weil eine Eklampsie drohe, die durch eine Entbindung des Kindes vermieden werden könne. Die Frau ging aber erst am nächsten Tag ins Krankenhaus, wo man ein HELLP-Syndrom mit Hirnmassenblutung feststellte. Nach einem Notkaiserschnitt wurde sie in die Intensivstation verlegt. Es blieben eine beinbetonte Halbseitensymptomatik und eine gering ausgeprägte Gesichtsfeldeinschränkung zurück. Die Frau klagte auf Schadenersatz mit der Begründung, ihr sei nicht gesagt worden, dass die Situation lebensbedrohlich sei.
Ergebnis: Die erteilte Aufklärung („Blutungen, Krämpfe, Folgen für das Kind“) war ausreichend genug, um aus der Sicht eines durchschnittlichen Patienten – noch dazu einer werdenden Mutter – die Notwendigkeit einer raschen Spitalsbehandlung zu erkennen. Es würde die Aufklärungspflicht überspannen, müsste der Gynäkologe in diesem Fall auch noch ausdrücklich auf eine Lebensgefahr hinweisen. Die Klage wurde daher abgewiesen.
Hinweis: In der Praxis wohl bekannt ist eine Entscheidung des OGH aus dem Jahr 2006
(5 Ob 165/05h), wo ein Gynäkologe bei einer Routineuntersuchung einer Schwangeren feststellte, dass die Werte nicht passten und im Uterus zu viel Fruchtwasser war. Der Arzt sagte wörtlich zur Frau, einer Akademikerin: „Sie gehen mir jetzt in die Risikoambulanz!“ Die Frau ging nicht, das Kind kam mit Trisomie 21 zur Welt. Der OGH verurteilte den Arzt wegen mangelhafter Aufklärung. Er hätte der Frau sagen müssen, welche Folgen es hat, wenn sie nicht in die Risikoambulanz geht. In der hier wiedergegebenen Entscheidung sah der OGH den Unterschied darin, dass der Arzt die Gefahren ausdrücklich nannte.
(OGH 9 Ob 64/08i)
Primäre Sectio
Nach den Untersuchungen der Patientin, den Diagnosen und Laborergebnissen war eine primäre Sectio nicht indiziert. Während des Geburtsvorgangs traten aber Komplikationen auf.
Behandlung: Innerhalb eines adäquaten Zeitintervalls wurde die richtige Methode des Kaiserschnitts vorgenommen. Die Durchführung und Überwachung der Geburt sowie die Nachbehandlung des Kindes nach der Geburt erfolgten zeitgerecht und entsprachen dem fachlichen Standard. Aus nicht mehr feststellbaren Gründen kam das Kind behindert zur Welt. Die Eltern klagten rund Euro 150.000,– ein und begründeten dies zuletzt damit, dass die Mutter nicht über die Indikation für eine Kaiserschnittentbindung aufgeklärt wurde.
Ergebnis: Eine Patientin muss mangels Indikation für eine Kaiserschnittentbindung nicht ungefragt über die theoretische Möglichkeit einer solchen Entbindungsmethode aufgeklärt werden. Die Klage wurde abgewiesen.
(OGH 8 Ob 30/11m)
Innere Medizin
Patient kollabiert in der Ordination
Der Patient, der in Begleitung seiner Gattin in die Ordination kam, klagte über zunehmende Schmerzen im Brustbereich, die bei schwerer körperlicher Arbeit in immer kürzeren Abständen aufgetreten waren. Der Arzt führte zunächst ein EKG durch, das auf einen Infarkt hinwies. Der Patient bekam einen Nitrospray und man ließ ihn einen Schluck Wasser trinken. Daraufhin kollabierte der Mann, wurde bewusstlos und bekam einen Krampfanfall mit Kammerflimmern.
Behandlung: Auf das dringende Ersuchen der Gattin, die den Kopf ihres Mannes hielt, etwas zu unternehmen, legte der Arzt einen Beatmungsschlauch und wies die Gattin an, den Beatmungsbeutel zu betätigen. Weitere Maßnahmen, wie etwa Anlegen einer Gesichtsmaske, Herzdruckmassage, Defibrillation, wurden nicht gesetzt. Die Assistentin forderte ein Notarztteam an. Als das Notarztteam eintraf, gelang es ihm nicht mehr, den Mann zu reanimieren. Die Auswirkungen des Krampfanfalls hatten aufgrund massiver kardialer Vorerkrankungen zum Tod geführt.
Ergebnis: Der Staatsanwalt hat seinen Strafantrag wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach Vorliegen eines medizinischen Gutachtens, wonach der Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eingetreten wäre, wenn sich der Arzt sorgfaltsgemäß verhalten hätte, zurückgezogen. Im Zivilprozess klagte die Gattin ein Schmerzensgeld von Euro 7.000,– ein, weil sie das Ableben ihres Mannes mitansehen musste und dabei einen schweren psychischen Schock erlitt. Der OGH hielt den Anspruch für grundsätzlich berechtigt, verwies die Rechtssache aber an die erste Instanz zurück, weil noch nicht geklärt war, ob bei sorgfaltsgemäßer Reaktion des Arztes der Tod hätte verhindert werden können.
Hinweis: Dass der Staatsanwalt seinen Strafantrag zurückgezogen hat, spielt für das Zivilgericht keine Rolle. Der Arzt hat mit der Verständigung des Notarztteams alleine seiner Pflicht zur Leistung Erster Hilfe nicht entsprochen. Ob die weiteren Maßnahmen – Verabreichung von Nitrospray und einem Schluck Wasser, Setzung eines Beatmungsschlauchs – als Erste Hilfe ausreichten, ist Gegenstand des weiteren Verfahrens.
(OGH 4 Ob 71/10k)
Radiologie
Haftung für die Urlaubsvertretung
Während seines Urlaubs ließ sich der Facharzt für Radiologie in seiner Ordination (mit Kassenvertrag) von einem Kollegen vertreten. Der Kollege, ebenfalls FA für Radiologie und Professor am AKH in Wien, führte eine Darmuntersuchung durch, die nicht lege artis war.
Weitere Informationen: Der Befund weist im Kopf Name, Anschrift und Ordinationszeiten des Ordinationsinhabers auf, der die Leistungen des Vertreters im eigenen Namen gegenüber der Sozialversicherung abrechnet und den Kollegen nach Zahl und Art der Behandlungen entlohnt. Der Patient hatte keinen der Ärzte vorher gekannt. Er war der Ansicht, vom Ordinationsinhaber persönlich behandelt zu werden. Diesen klagte er auf Euro 50.000,– Schadenersatz wegen der erwiesenen Fehlbehandlung. Der beklagte Ordinationsinhaber wendete ein, er sei nicht der behandelnde Arzt gewesen und somit nicht Vertragspartner des Patienten. Auch sei es einem Kassenpatienten gleich, von wem er behandelt würde.
Ergebnis: Zwar erfolgt die ärztliche Berufsausübung eigenverantwortlich, doch können sich auch Ärzte so wie andere selbstständige Unternehmer vertreten lassen und haben dann für den Vertreter zu haften. Dem Argument, der Ordinationsinhaber habe in seiner Abwesenheit keinen Behandlungsvertrag schließen wollen, ist entgegenzuhalten, dass der Patient der Meinung sein musste, vom Ordinationsinhaber persönlich oder zumindest innerhalb seines Verantwortungsbereichs behandelt zu werden. Der Ordinationsinhaber muss sich diesen Vertrauenstatbestand, den er geschaffen hat, zurechnen lassen. Es wäre ihm, wie auch seinem Vertreter, leicht möglich gewesen, den Irrtum aufzuklären, etwa durch entsprechende Hinweise auf dem Ordinationsschild, Anweisungen an das Personal, die Patienten entsprechend zu informieren oder Aufklärung über den Vertretungsfall am Beginn der Behandlung. Es trifft auch nicht zu, dass es Kassenpatienten gleich ist, von wem sie behandelt werden, zumal der Patient die Ordination über Empfehlung seines Hausarztes aufsuchte.
Hinweis: Überweist ein Facharzt einen Patienten an einen anderen selbstständig tätigen Facharzt, kommt ein eigener Behandlungsvertrag zwischen diesem Arzt und dem Patient zustande. In diesem Fall besteht keine Haftung des überweisenden Arztes für Fehler des Kollegen. Das gilt auch, wenn nicht der Patient „läuft“, sondern wenn etwa eine Gewebeprobe übermittelt wird (OGH 7 Ob 136/06k). Ist der Befund falsch, haftet allein der Pathologe.
OGH 4 Ob 210/07x mn
Foto: bildagentur waldhäusl