Antike Heilkunst
Warum die Stätten antiker Heilkunst nach wie vor eine große Faszination ausüben.
Die ersten Mitteilungen über die Medizin der Griechen, die in dieser frühen Zeit noch ganz in der Tradition der auf Empirie beruhenden Heilkunst der Völker des Vorderen Orients stand, finden sich in den Homerischen Epen (8. Jh. v. Chr.). Die ärztlichen Verrichtungen, Entfernen von Pfeil- und Lanzenspitzen, Anlegen von Verbänden, Blutstillen, Verabreichen schmerzstillender Medikamente und Tränke, wurden von Laien ausgeführt. Das medizinische Wissen wurde vom Vater auf den Sohn weitergegeben. Neben vielen anderen Helden sollen vor allem Machaon und Podaleirios, die Söhne des Asklepios, in der Medizin erfahren gewesen sein. Berufsärzte werden erst in der etwas jüngeren Odyssee erwähnt.
Ohne das durch Erfahrung gewonnene medizinische Wissen zu überdecken, gab es daneben eine über ganz Griechenland verbreitete Tempel-Medizin: Orakelstätten und Heiligtümer, in späterer Zeit besonders die Asklepieien, waren Wallfahrtsorte für Heilung suchende Kranke. Der Aufenthalt der Patienten im Tempelbezirk war durch strenge hygienische und kultische Vorschriften geregelt. Heilung oder Hinweis für die Behandlung wurden durch die Inkubation („Tempelschlaf“) zuteil. Die Verordnungen bestanden hauptsächlich in milden physikalischen und diätetischen Maßnahmen. Als Honorar für die vom Gott gewährte Heilung wurden entweder Geld oder Votivgaben aus Gold, Silber, Stein oder Gips entrichtet.
Neben der Tempel-Medizin waren in den niederen Volksschichten die ganze Antike hindurch abergläubisch-magische Praktiken lebendig: Austreibung von Dämonen, Anwendung von Zaubersprüchen, Amuletten und Mitteln der sogenannten Dreckapotheke, also zum Beispiel menschliche und tierische Exkremente.
Im 7./6. Jh. v. Chr. entwickelte sich eine freie ärztliche Tätigkeit, deren Vertreter, die Angehörigen der Arztfamilien, die ihren Stammbaum auf Asklepios zurückführten (Asklepiaden), sich ausschließlich der auf Empirie beruhenden rationalen Heilmethoden bedienten. Beeinflusst von der Philosophie, schufen sie die erste wissenschaftliche Medizin und zugleich die Grundlage der modernen Medizin. Angeregt durch die ionischen Naturphilosophen, beschäftigten sich die Ärzte mit den Ursachen und dem Wesen der Krankheiten, der Pathologie, und dem Aufbau des menschlichen Körpers. Den sichtbarsten Ausdruck fanden diese Bemühungen in den hippokratischen Schriften.
Der legendäre Hippokrates
Hippokrates von Kos (um 460-370 v. Chr.) entstammte einer alten Arztfamilie, und wurde selbst zu einem der bedeutendsten Ärzte der Antike. Um seine Person bildeten sich zahlreiche Legenden. Von den 58 zum Corpus Hippocraticum zusammengefassten Schriften, die Lehrgut verschiedener medizinischen Schulen enthalten, kann nicht eine einzige mit Sicherheit ihm als Verfasser zugewiesen werden. Die Gesundheit beruhte nach hippokratischer Lehre auf der richtigen Mischung der vier Körpersäfte Blut, Schleim, gelber und schwarzer Galle (Humoralbiologie), die gestörte Mischung bedeutete Krankheit (Humoralpathologie), in deren Verlauf durch einen Kochungsprozess die richtige Mischung, das heißt die Gesundheit, wiederhergestellt wurde.
Ihre Aufgabe sahen die hippokratischen Ärzte darin, im Krankheitsfall das im menschlichen Organismus begründete Streben nach Wiederherstellung der Gesundheit (Physis) zu unterstützen. Genaue Beobachtung am Krankenbett und das Eingehen auf die individuelle Physis jedes Patienten leisteten ihnen hierbei wertvolle Hilfe („Prognostikon“). Ihre therapeutischen Maßnahmen beschränkten sich im Wesentlichen auf diätetische und naturheilkundliche Verordnungen. Die hippokratische Säftelehre beherrschte die medizinischen Vorstellungen der ganzen Antike und des Mittelalters und wirkte in leicht modifizierter Form bis in das 19. Jahrhundert hinein. Die ethisch hochstehende Haltung der hippokratischen Ärzte gegenüber dem Patienten, die zum Teil noch heute die Grundlage des ärztlichen Handelns bildet, kommt im sogenannten Eid des Hippokrates zum Ausdruck.
Anatomie, Physiologie und Chirurgie
Unter dem Einfluss der platonischen und vor allem der aristotelischen Philosophie mit ihrer Systematisierung und Spezialisierung der einzelnen Wissenschaften gewannen im 4. Jh. v. Chr. die theoretischen Fächer der Medizin, Anatomie und Physiologie immer mehr an Bedeutung. Besonders die physiologischen Forschungen blieben freilich weitgehend spekulativ, zum Beispiel die Ausbildung der Säftelehre zur Viersäftelehre und andere. Die anatomischen Studien der alexandrinischen Ärzte Herophilos und Erasistratos aus dem 3. Jh. v. Chr., die die Medizin demgegenüber auf eine von den realen Tatsachen ausgehende Grundlage stellten, vermittelten der Antike die wertvollsten Kenntnisse vom Bau und von den Funktionen der Organe des menschlichen Körpers und schufen eine Basis für die Entwicklung der Chirurgie.
Griechische Medizin in Rom
Die um 300 v. Chr. in der Philosophie aufkommende skeptische Denkrichtung beeinflusste die empirische Ärzteschule. Die Atomistik Epikurs schuf die Voraussetzung für die medizinischen Lehren des Asklepiades aus dem 1. Jh. v. Chr. und der methodischen Ärzteschule. Mit Asklepiades gelangte die wissenschaftliche Medizin der Griechen nach Rom, wo die Medizin, abgesehen von einigen diätetischen Vorschriften und wenigen empirisch bestimmten chirurgischen Eingriffen, noch in religiös-magischen Bräuchen bestand, wie zum Beispiel die medizinischen Anweisungen Catos des Älteren zeigen. Durch die Einfachheit seiner medizinischen Theorien und die Leichtigkeit ihrer Anwendung machte Asklepiades die griechische Medizin in Rom sesshaft.
Galenos und Hippokratismus
Als letzte philosophische Strömung konnte die mittlere Stoa die Entwicklung der Medizin beeinflussen. Die Gründung der pneumatischen Ärzteschule, die erneut eine scharfe Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Schulen mit sich brachte, trug wesentlich dazu bei, dass die Medizin im 1. Jh. n. Chr. zu einer letzten Blüte gelangte. Sie fand ihren Höhepunkt und Abschluss im 2. Jh. n. Chr. in dem alle medizinischen Lehren der vorausgehenden Jahrhunderte zu einem gewaltigen Bau vereinigenden Werk Galens.
Der Grieche Galenos (129 – um 200) war Sohn eines Mathematikers und Architekten. Eine Zeit lang war er Gladiatorenarzt in Pergamon, praktizierte anschließend mit kurzen Unterbrechungen in Rom und war seit 169 Leibarzt des Kaisers Mark Aurel. Er war der letzte große Repräsentant der wissenschaftlichen Medizin in der Antike. Er vertrat medizinisch und philosophisch einen eklektischen Standpunkt, erkannte jedoch unter seinen Vorgängern nur Hippokrates uneingeschränkt als ärztliche Autorität an, während er sich in philosophischer Hinsicht hauptsächlich Aristoteles anschloss. In seinen zahlreichen medizinischen Schriften, die zum großen Teil erhalten sind, fasste Galen das gesamte bisher angesammelte medizinische Wissen zusammen und bereicherte es hauptsächlich in der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Pharmakologie durch eigene Forschungen. Er verfasste Kommentare zu allen von ihm für echt gehaltenen Hippokratesschriften, in denen er sich um eine Synthese zwischen der hippokratischen Medizin und der seiner Zeit bemühte.
Das von Galen idealisierte Hippokratesbild wurde für den Hippokratismus in der ausgehenden Antike und im Mittelalter bestimmend. Die Schriften Galens erfreuten sich bereits im 4. Jahrhundert einer außerordentlichen Wertschätzung und dienten auch in byzantinischer Zeit als Hauptquelle für medizinische Handbücher. Die galenische Medizin, zum Teil auf dem Umweg über die Araber überliefert, behauptete sich bis in die Renaissance hinein als maßgebende Lehre.
Nach Galen ging das Interesse an den wissenschaftlichen Grundlagen der Medizin zurück, Aberglaube und Magie traten wieder stärker hervor. Auch durch die Römer ist die wissenschaftliche Medizin nicht mehr gefördert worden, da ihr Interesse besonders der praktischen Seite der Medizin galt. Mit Ausnahme des medizinischen Lehrbuchs des Celsus oder der lateinischen Bearbeitung der Werke griechischer Ärzte durch Caelius Aurelianus, Cassius Felix (5. Jh. u. Z.) und Vindicianus wurden von den römischen medizinischen Autoren vom 1. bis 6. Jh. n. Chr. im Wesentlichen nur Arzneimittelbücher und Rezept-Sammlungen verfasst. Ihren Abschluss fand die römische Medizin mit Anthimus (6. Jh.). Von ihm ist ein diätetischer Brief mit Vorschriften über den richtigen Gebrauch der verschiedensten Nahrungsmittel erhalten, der an den Frankenkönig Theoderich gerichtet ist.