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Angststörungen

Angststörungen sind die häufigsten psychischen Störungen. Sie gelten auch als „Einstiegsstörungen“ in noch schwerere psychische Störungen, vor allem Depressionen und Substanzabhängigkeit.


Dr. Hans Morschitzky

Autor: Dr. Hans Morschitzky
Klinischer Psychologe und Psychotherapeut
Hauptstraße 77, 4040 Linz, Tel.: 0732/778601
morschitzky(at)aon.at ,www.panikattacken.at

Das ICD-10 unterscheidet grundsätzlich zwei Arten von Angststörungen: Phobien wie Agoraphobie, soziale Phobie und spezifische Phobien sowie sonstige Angststörungen wie Panikstörung und generalisierte Angststörung. Es wäre wünschenswert, dass im ICD-11, das im Jahr 2018 erscheinen soll, die hypochondrische Störung als weitere Angststörung anerkannt wird, neben einer Trennungsangststörung im Erwachsenenalter. Das neue amerikanische psychiatrische Diagnoseschema DSM-5 hat sich dem ICD-10 insofern angenähert, als die Zwangsstörung und die posttraumatische Belastungsstörung aus der Gruppe der Angststörungen ausgegliedert wurden.

Häufigkeit

Angststörungen sind nach einer aktuellen deutschen Studie die häufigsten psychischen Störungen. In den letzten zwölf Monaten hatten 15,3 % der 18- bis 79-jährigen Deutschen eine Angststörung. Zum Vergleich: Affektive Störungen traten mit einer Häufigkeit von 9,3 % auf. Die Zwölf-Monats-Prävalenz der verschiedenen Angststörungen ergibt folgende Häufigkeitsraten: Panikstörung 2,0 %, generalisierte Angststörung 2,2 %, Agoraphobie 4,0 %, soziale Phobie 2,7 %, spezifische Phobien 2,2 %. Jede Form von Angststörung tritt bei Frauen mindestens doppelt so häufig auf wie bei Männern.

Behandlungsbedürftigkeit

Angststörungen haben ohne Behandlung oft einen chronischeren Verlauf als Depressionen. Angststörungen führen häufig zu weiteren psychischen Störungen, vor allem zu Depressionen bis hin zu Suiziden und schädlichem Gebrauch von Alkohol und Tranquilizern bis hin zur Abhängigkeit. Von den Personen mit Komorbidität hatten 90 % zuerst eine Angststörung und erst danach eine Depression. Die Patienten mit umgekehrter Konstellation waren zu Erkrankungsbeginn bereits älter. Vor allem Menschen mit einer Panikstörung und einer generalisierten Angststörung entwickeln häufig auch eine somatoforme Störung aufgrund von Dauerverspannungen und beschäftigen zahlreiche Ärzte wegen diverser körperlicher Beschwerden wie etwa Schwindel, Durchfall, Schlafstörung oder verschiedenen Schmerzzuständen.
Andererseits leiden auch 70 bis 90 % der Patienten mit einer depressiven Episode unter diversen Ängsten. Oft wird in der klinischen Praxis erst nach erfolgreicher Behandlung der Depression oder des schädlichen Substanzgebrauchs deutlich, dass bereits vorher eine Angststörung bestanden hat, nicht selten eine soziale Phobie, eine Panikstörung oder eine generalisierte Angststörung.

Behandlungsmethoden

In vielen Fällen ist eine Kombinationstherapie von Psychotherapie und Psychopharmakotherapie (zumeist mit SSRI) jene Vorgangsweise, die am schnellsten einen Behandlungserfolg erbringt und am sichersten einen Krankenstand verhindert oder verkürzt. In bestimmten Fällen versetzt allein ein Antidepressivum die Betroffenen, vor allem wenn sie bereits eine depressive Begleitstörung entwickelt haben, wieder in die Lage, ihre Ängste mehr oder weniger allein ohne fremde Hilfe zu bewältigen. Oft reicht eine rasch einsetzende Psychotherapie als einzige Behandlungsmethode aus, vor allem bei hoch motivierten Patienten.
Auf eine antidepressive Medikation kann oft schon deswegen nicht verzichtet werden, weil viele Betroffene noch keine Bereitschaft zu einer Psychotherapie zeigen, und wenn, dann können sie sich eine solche aufgrund fehlender Kassenverträge in der freien Praxis gar nicht leisten oder sie müssen endlos lange auf einen kostenlosen Therapieplatz bei diversen Einrichtungen warten.
Die Verhaltenstherapie weist laut Studien die besten Behandlungserfolge auf, doch sind auch andere Psychotherapie-methoden erfolgreich, vor allem wenn es nicht nur um eine rasche Symptombeseitigung geht, sondern auch um die oft damit einhergehenden Probleme, wie etwa den Umgang mit Emotionen, negativen Schemata und psychosozialen Belastungssituationen.

Nichtmedikamentöse Hilfestellungen

Menschen mit einer Angststörung, insbesondere in Verbindung mit einer hypochondrischen Störung, wie diese gerade bei Menschen mit Panikstörung und Agoraphobie nicht selten vorkommt, überfordern oft die zeitliche und nervliche Belastbarkeit eines Kassenarztes. Menschen mit einer generalisierten Angststörung kommen oft wegen körperlicher Beschwerden in die Ordination, ohne ihre generalisierten Ängste direkt anzusprechen.
Neben der medikamentösen Behandlung, der Ausschlussdiagnostik bezüglich möglicher körperlicher Krankheitsfaktoren und der Überweisung zur Psychotherapie können Hausärzte und Fachärzte trotz der Zeitknappheit Menschen mit Angststörungen viele wertvolle Hilfestellungen geben. Angstpatienten nehmen bestimmte Ratschläge eher von Ärzten an als von nichtärztlichen Psychotherapeuten. Auf folgende Möglichkeiten der ärztlichen Beratung und Unterstützung soll besonders hingewiesen werden:
Bei allen Angstpatienten ist die Ermutigung zu körperlicher Aktivität statt ängstlicher Schonhaltung und dauerndem Grübeln der Betroffenen von großer Bedeutung. Bestimmte Patienten, die ihre Störung verharmlosen, sollten auch erfahren, dass sie bei unzureichender Bewältigung der Angststörung später leicht eine depressive Störung entwickeln können. Auch die Warnung vor schädlichem Gebrauch von Alkohol und Tranquilizern ist oft angezeigt.
Bei Patienten mit Panikstörung ist eine knappe und allgemein verständliche Aufklärung wichtig, dass sie körperlich gesund sind und ihre ersten Panikattacken oft in einer Nachstressphase aufgetreten sind, ähnlich wie eine Wochenendmigräne, ein Erschöpfungssyndrom oder eine körperliche Erkrankung nach länger dauerndem Stress. Anderenfalls haben die ersten
Panikattacken mit hoher emotionaler Erregung zu tun, wie etwa mit Ärger und Wut, massiven Verlustängsten, Existenzsorgen, schlimmen Schicksalsschlägen wie Todesfällen oder schweren Erkrankungen in der Familie oder Verwandtschaft. Überzeugend ist für die Betroffenen auch der Hinweis, dass sie unter Belastung oft keine Angst vor ihren körperlichen Reaktionen haben, wohl aber in Ruhe, wo sie ihre Erlebnisse und Gefühle verarbeiten, ihre Gedanken zulassen und ihren Körper bewusst beobachten.
Bei Menschen mit einer Agoraphobie mit und ohne Panikstörung hilft oft der Hinweis, dass sich die Betroffenen letztlich nicht vor bestimmten Orten, sondern vor ihren körperlichen Reaktionen in diesen Situationen fürchten. Eine Agoraphobie und eine Panikstörung stellen eine Beziehungsstörung zum eigenen Körper dar. Statt mit der Umwelt und dem eigenen Körper sollten sich die Betroffenen oft besser mit ihren familiären, beruflichen und sonstigen Beziehungen als mögliche Auslöser ihrer Angststörung beschäftigen. Eine entsprechende ärztliche Nachfrage zur konkreten Lebenssituation kann den Betroffenen oft wertvolle Denkanstöße liefern.
Auf Patienten mit einer generalisierten Angststörung wird man als Arzt oft aufmerksam, wenn diese ohne Depression und andere Krankheiten über Schlafstörungen und diverse somatoforme, also funktionelle Störungen klagen, bis hin zu Kopf- und Rückenschmerzen. Die Neigung zu generalisierten Ängsten muss dann vom Arzt angesprochen werden, weil die Betroffenen oft gar keinen Zusammenhang zwischen ihren Ängsten und ihren körperlichen Beschwerden herstellen können.
Menschen mit einer sozialen Phobie, vor allem junge Männer, müssen auf die Gefahr hingewiesen werden, die Ängste mit Alkohol zu überspielen, oder durch einen sozialen Rückzug in eine depressive Anpassungsstörung zu geraten. Manchmal hilft auch schon die Ermutigung zu größerer sozialer Kontaktbereitschaft.
Der Verweis auf Selbsthilfe-Literatur stellt für den Arzt eine Entlastung dar und für den Angstpatienten die erste Möglichkeit, seine Ängste besser zu verstehen und überwinden zu lernen. Um das Selbsthilfe-Potenzial der Betroffenen zu stärken, schreibe ich als Klinischer Psychologe und Psychotherapeut, der über drei Jahrzehnte lang in der Linzer Nervenklinik sowie in freier Praxis tätig war, einen Ratgeber nach dem anderen zu den verschiedenen Angststörungen.

Tipps zum Nachlesen

  • Morschitzky, H. (2009): Angststörungen. Diagnostik, Konzepte, Therapie, Selbsthilfe. 4. Auflage. Wien: Springer.
  • Morschitzky. H. (2015): Endlich leben ohne Panik. Die besten Hilfen bei Panikattacken. Munderfing, Österreich: Fischer & Gann Verlag – Der Selbsthilfe-Teil ist auch als App verfügbar.
  • Morschitzky, H. & Hartl, T. (2014): Raus aus dem Schneckenhaus. Soziale Angst bewältigen. 2. Auflage, Ostfildern: Patmos Verlag der Schwabenverlag AG.
  • Morschitzky, H. & Hartl, T. (2014): Die Angst vor Krankheit verstehen und überwinden. 2. Auflage, Ostfildern: Patmos Verlag der Schwabenverlag AG.
  • Morschitzky, H. & Sator, S. (2011). Die zehn Gesichter der Angst. Ein Selbsthilfe-Programm in 7 Schritten. 6. Auflage. Ostfildern: Patmos Verlag der Schwabenverlag AG