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Alte Werte

Historische Bausubstanz trifft nicht nur Wohnromantiker mitten ins Herz. Ein Investment in alte Villen, pittoreske Mühlen oder verlassene Vierkanthöfe ist nichts für Sparfüchse, kann sich aber durchaus lohnen.


Wer sich für ein historisches Gemäuer entscheidet, sollte sich ganz nüchtern den tatsächlichen Zustand der Substanz vor Augen führen.

Hohe Decken, viel altes Holz, vielleicht ein Türmchen oder ein kuscheliges Erkerzimmer gefällig? Die Nachfrage nach alten Gemäuern zum Wohnen ist hoch. Kein Wunder, denn wer möchte nicht einmal auf den Spuren jahrhundertealter Architektur wandeln. Nicht nur Hobbyhistoriker oder Möchtegern-Burgherren finden die meist geräumige Architektur reizvoll. Ein kurzer Blick in die diversen Immobilienportale im Internet spuckt eine Fülle von Objekten für jeden Geldbeutel aus. Wie wäre es denn zum Beispiel mit einer Zwanzig-Zimmer-Villa in Berndorf aus dem Jahre 1907 mit 1.500 m2 Wohn­­fläche, 5.700 m2 parkähnlichem Garten um wohlfeile 1,5 Millionen Euro? Oder einem über dem Attersee gelegenen Anwesen mit sechs Zimmern, 390 m2 Wohnfläche, 1.100 m2 Garten plus Steg-Bootsliegeplatz um nur 790.000 Euro?

Etwas günstiger wird es im burgenländischen Kurort Bad Sauerbrunn, 45 Minuten von Wien entfernt. Die Jungendstilvilla bietet auf drei Stockwerken 316 m2, die Gartenfläche ist mit 360 m2 pflegeleicht zu bespielen. Der Preis: 455.000 Euro. Im Vergleich dazu ist die lauschige alte, aber voll funktionsfähige Mühle in der Nähe von Lunz am See mit 49.999 Euro ein Schnäppchen, sie bietet mitten im Wald zwar ein unglaubliches Naturerlebnis, kommt mit einer Nutzfläche von gerade mal 29 m2 für dauerhaftes Wohnen allerdings kaum in Frage. Man sieht, die Angebotssituation könnte vielfältiger nicht sein. Die meisten Objekte liegen jedoch mehr oder weniger weit weg vom Schuss. Feine alte Gebäude in Zentrumsnähe, vielleicht auch noch top-renoviert oder hochwertig ausgestattet, sprengen nicht selten den siebenstelligen Rahmen. Und in solchen Dimensionen wird die Luft dann schon verdammt dünn.

Alles unter einem Dach?

Die Idee, in eine alte Mühle oder einen Vierkanter auch gleich noch die eigene Privatordination zu integrieren, liegt auf der Hand. Steuerlich ergeben sich daraus zwangsläufig einige Synergieeffekte, allerdings möchte das Finanzamt im Falle einer Prüfung sicher ganz genau wissen, welche Ausgaben dem Privat- und welche dem Ordinationsbereich zuzuordnen sind. Mit etwas buchhalterischem Geschick und einem vifen Steuerberater lässt sich das aber gut in den Griff kriegen. Etwas zu finden, dass von der Lage her für alle potenziellen Patienten gut zu erreichen ist, gestaltet sich da schon schwieriger. Im Einzelhandel gibt es drei griffige Regeln für ein erfolgreiches Geschäft: 1. Die Lage. 2. Die Lage. 3. Die Lage! Die Ordination kann in einem noch so liebevoll restaurierten Schmuckstück von einem Haus liegen, wenn sie nur über verschlungene Wege mit dem Auto zu erreichen ist, dezimiert sich die Anzahl der „Besucher“ schon beträchtlich. Ein spezielles Augenmerk sollte auch auf den Zustand der elektrischen Installationen gelegt werden. Moderne Medizintechnik zieht mitunter viel Strom aus dem Netz und manche Geräte reagieren empfindlich, wenn es regelmäßig zu stromausfallsbedingten „Abstürzen“ kommt.

„Wohn-Oldies“ und ihre Tücken

Wer sich nach langem Hin und Her am Ende doch für ein historisches Gemäuer entscheidet, sollte sich ganz nüchtern den tatsächlichen Zustand der Substanz vor Augen führen. Auch sollte man sich möglichst schonungslos fragen, ob der erwartete Wohnkomfort mit den zur Verfügung stehenden Mitteln überhaupt zu erreichen ist. In manchen Fällen reichen kleinere Adaptierungen, weitaus öfter steckt der Teufel aber in so grundlegenden Dingen wie den Gas-, Wasser- und Elektrikinstallationen. Wenn beim gleichzeitigen Aktivieren von Toaster und Mikrowelle die ersten Sicherungen fallen, kann man sich als geübter Heimwerker schon mal den Bohrhammer greifen, um die alten Leitungen aus der Wand zu stemmen.
Oberstes Gebot: Gemeinsam mit einem in Sachen alter Substanz erfahrenen Gutachter und einem fähigen Architekten sollte es gelingen, einen schnellen Überblick über die erforderlichen Maßnahmen und natürlich auch die entsprechenden Kosten zu erhalten. Das gilt für augenscheinlich perfekt sanierte Liegenschaften genauso wie für dezidierte Renovierungs- und Restaurierungsobjekte.

Ein weiterer wichtiger Punkt, auf den man in der Traumhaus-Euphorie gerne mal vergisst, ist die Einhaltung regionaler Modernisierungsbestimmungen: Auch hier können Mehrkosten entstehen, mit denen man vorher nicht unbedingt gerechnet hat. Möchte man zudem vielleicht in einer alten Immobilie wohnen, die früher anderweitig genutzt wurde, ist es wichtig, planungsrechtliche Bestimmungen der jeweiligen Gemeinde einzuhalten oder sich entsprechende Genehmigungen zu besorgen.

Sind Oldies auch wirklich Goldies?

Das Gefühl dicker alter Wände rund um einen herum, die meist großzügig gestalteten Nutzflächen und der Charme vergangener Zeiten können einem schon mal derart die Sinne rauben, dass die Ratio gegen die spontane Verliebtheit kaum eine Chance hat. Wer das Objekt seiner persönlichen Begierde einmal gefunden hat, sollte sich vor dem Kauf glasklar sein, wohin die Reise geht und was es kosten darf. Dann steht dem großen Glück in unvergleichlichen und höchst individuellen eigenen vier Wänden kaum mehr etwas im Wege. So wie die Dinge jetzt liegen, sicher eine der besseren Ideen Geld auszugeben.

ck