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Alles unter einem Dach

Es ist oft schwer genug, die Traumimmobilie für das private Wohnen zu finden. Umso schwieriger wird es, wenn Ordination und Wohnen unter einem Einfamilienhaus-Dach realisiert werden sollen.


DI Christel Helene Schmidt, werkrausch. foto: werkrausch

Mag. Gerhard Fritz, Architekt in Wien.

DI Doris Ossberger, Referentin für barrierefreies Bauen beim Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich, BSVÖ.

Michaela Kuttenberger, Marketing Erste Bank

Ein Einfamilienhaus in idyllischer Waldrandeinzellage mag vielleicht den privaten Vorlieben entgegenkommen, ob diese Lage aber auch patientenfreundlich ist, bleibt fraglich. Einer Sache sollte sich jeder Arzt bewusst sein: Der wirtschaftliche Erfolg hängt neben den fachlichen Qualitäten auch stark von der Ordination ab. Denn – auch wenn in gewissen Bereichen von Ärztemangel gesprochen wird – der Wettbewerb unter den Ärzten hat sich verschärft. Während es 1990 knapp über 3.000 Wahlärzte in Österreich gab, gibt es heute schon fast 9.000 Wahlärzte. Innerhalb von 25 Jahren hat sich die Zahl also mehr als verdreifacht.

Vielfältige Anforderungen

Das ideale Einfamilienhaus zu finden, um den Traum von Arbeiten und Wohnen unter einem Dach realisieren zu können, ist mit dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz deutlich schwieriger geworden. „Jede Ordination hat je nach Fachgebiet andere Anforderungen: Ein Allgemeinmediziner mit hoher Patientenfrequenz benötigt eine andere Infrastruktur als ein Wahlarzt mit nur wenigen Patienten pro Tag“, erklärt Architekt Mag. Gerhard Fritz. „Die Kosten für eine gute Ordinationsplanung liegen zwischen 8 und 10 Prozent der Bausumme. Die Ersparnis beläuft sich auf das Vier- bis Fünffache, was durch Planungs- und Baufehler erspart wird, da man sich unnötige Kosten erspart.“ Ordinationsumbauten in älteren Gebäuden erfordern oft umfassende Maßnahmen. „Das kann teuer werden“, betont Fritz. Denn für Ordinationen gelten die üblichen baulichen und betrieblichen Auflagen wie für andere Unternehmen auch, dazu kämen jedoch noch einige spezielle Auflagen. So muss eine Ordination zum Beispiel mit einer Patiententoilette inklusive Waschgelegenheit, Seifenspender und Einweghandtücher oder Händetrockner und einem Personal-WC inklusive Spender mit Flüssigseife und einem Spender mit Händedesinfektionsmittel – beides händebedienungsfrei – sowie Papierhandtüchern und Abfallkörben ausgestattet sein. „Barrierefreie Toiletten brauchen vor allem eines: viel Platz“, so Fritz. Wenn aus Platzgründen dann die Küche ins Obergeschoß wandern muss, kann das teuer werden. „In derart gelagerten Fällen sollte man einen Anbau andenken. Hier lassen sich gleichzeitig optische Akzente setzen.“ Ein Anbau für die Ordination kann auch langwierige Diskussionen mit dem Finanzamt vermeiden, wenn es darum geht, welche Bau- und Betriebskosten von der Steuer absetzbar sind. Vor allem dann, wenn Ordination und Wohnung unter einem Dach sind, kann sich in älteren Gebäuden die Situation ergeben, dass das Vorzimmer der Wohnung gleichzeitig der Zugang zu den Behandlungsräumen ist. Um Auseinandersetzungen mit dem Finanzamt zu vermeiden, empfiehlt es sich, bereits bei der Erstellung des Bauplanes auf einschlägige Indizien zu achten: Die Räume sollten sich schon durch ihre Bezeichnung der betrieblichen Sphäre zurechnen lassen, also Namen wie „Archiv für Patientenunterlagen“, „Patienten-WC“ oder „Therapieraum“ tragen. Eine auch optisch deutliche Trennung von Ordinations- und Privaträumen kann die Situation deutlich entschärfen.

Barrierefreiheit als Muss

Dass die baulichen Anforderungen an eine Ordination hoch sind, bestätigt auch der Geschäftsführer des Ärztlichen Qualitätszentrums der Ärztekammer Oberösterreich Mag. Alois Alkin: „Die baulichen Bestimmungen der Hygieneverordnung und des Arbeitnehmerschutzes sind – egal ob es sich um eine Verlegung oder Neugründung handelt – verpflichtend einzuhalten.“ So müssen zum Beispiel nach § 8 der Hygieneverordnung Fußbodenbeläge im Patientenbehandlungsbereich fugenlos, flüssigkeitsdicht, ausreichend widerstandsfähig, leicht zu reinigen und zu desinfizieren sein. Wandbeläge im Patientenbehandlungsbereich mit Kontaminationsgefahr müssen bis rund zwei Meter ab Fußbodenniveau leicht zu reinigen und gegebenenfalls leicht zu desinfizieren sein. Wird die Ordination in einem bestehenden Objekt eröffnet, ist zudem die Zumutbarkeit von Adaptierungsmaßnahmen nach dem Behindertengleichstellungsgesetz zu prüfen. „Neubauten hingegen haben generell barrierefrei zu erfolgen“, so Alkin. Dies gelte selbstverständlich auch für teilweise als Ordination genutzte Einfamilienhäuser.
Das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz – BGStG) hat das Ziel, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen oder zu verhindern und damit die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person aufgrund einer Behinderung in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Barrierefreiheit heißt nicht nur „schwellenlos zugänglich“. Es setzt auch voraus, dass die Nutzbarkeit und ein gewisser Komfort gesichert sind. Das BGStG ist in erster Linie ein Anti-Diskriminierungsgesetz und kein „Barrierefreiheitsgesetz“. Das heißt, dass der Einzelne keinen Rechtsanspruch auf Beseitigung einer Barriere hat. Fühlt sich ein Mensch mit Behinderungen unter anderem durch eine bauliche Barriere diskriminiert, hat er Anspruch auf Ersatz eines allfälligen Vermögensschadens, aber auch auf eine Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung. Der Schadenersatz für die persönliche Beeinträchtigung beträgt mindestens 1.000 Euro pro Anlassfall. Aber nicht alle Barrieren stellen eine Diskriminierung dar. So liegt keine mittelbare Diskriminierung vor, wenn die Beseitigung von Barrieren rechtswidrig oder wegen unverhältnismäßiger Belastungen unzumutbar wäre.

Mehr als schwellenlos

„Bei Neubauten ist die Rechtslage vollkommen eindeutig, da das OÖ Baurecht im § 31 BauTG die barrierefreie Ausführung für Arztpraxen festlegt“, erläutert Alkin die Rechtslage in Oberösterreich. „Inhaltlich verweist die BauTVO § 4 auf eine Richtlinie Nummer vier des Österreichischen Instituts für Bautechnik. Da diese in wesentlichen Teilen mit der ÖNORM B 1600 übereinstimmt, sind diese Teil des Landesbaurechts.“ Wird eine Ordination in einem Bestandsobjekt begründet oder übernommen, ist zudem die finanzielle Zumutbarkeit der baulichen Adaptierungsmaßnahmen zu prüfen. Sollte der Abbau der Barrieren unzumutbar sein, verlangt das Gesetz, „durch zumutbare Maßnahmen zumindest eine maßgebliche Verbesserung der Situation der betroffenen Person im Sinne einer größtmöglichen Annäherung an eine Gleichbehandlung zu bewirken.“ „Jedoch ist derzeit noch nicht geklärt, was der Gesetzgeber als zumutbar einstuft“, so Alkin.
Die Annahme, dass barrierefrei gleich teuer bedeutet, ist der nächste Irrtum. „In vielen Ordinationen kann man mit relativ einfachen Mitteln und ohne große Umbaumaßnahmen Verbesserungen erreichen. Man muss nur wissen wie“, betont DI Christel Helene Schmidt, Diplomingenieurin für Architektur und Design. „Oftmals kann man mit wenig Aufwand viel Barrierefreiheit erreichen, wenn man weiß, worauf zu achten ist.“ In dem einen oder anderen Fall hätten sich auch die Landgemeinden dazu bereit erklärt, einen Teil der Adaptierungskosten zu übernehmen. „Damit der Arzt nicht in eine andere Gemeinde abwandert“, schmunzelt Schmidt.
Barrierefreies Bauen ist weit mehr als nur das Beachten von Freiflächen und Türbreiten. Vielmehr geht es um ein perfektes und ergonomisches Zusammenspiel von Architektur, Technologie, Hilfsmitteln und Möblierung. „Stühle ohne Armlehne in den Wartezimmern, Toiletten ohne Haltegriffe“, bringt es die zertifizierte Expertin für barrierefreies Bauen auf den Punkt. Nützlich sind zudem Stock- und Krückenhalter an der Garderobe, die auch für kleinwüchsige oder rollstuhlfahrende Menschen geeignet sein sollten. Schon im Eingangsbereich sollten erste Sitzmöglichkeiten für stark gehbehinderte Patienten vorhanden sein. Sind Sprechzimmer, Wartezimmer und Therapieräume gut lesbar beschriftet, möglicherweise mit Symbolen versehen? Die Beschilderung sollte kontrastreich gestaltet sein, beispielsweise schwarz-weiß, gelbdunkelblau oder dunkelblau-weiß. Gibt es ein Informationsblatt in Blindenschrift? Gibt es besonders reservierte Sitzbereiche, die behinderten Menschen kurze Gehwege ermöglichen?
„Beim barrierefreien Gestalten sollten grundsätzlich die verschiedenen Anforderungen aller potenziellen Nutzer vom ersten Entwurf an mit einbezogen werden“, ergänzt DI Doris Ossberger, Referentin für barrierefreies Bauen beim Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich, BSVÖ. „Blinde Menschen orientieren sich fast ausschließlich mithilfe anderer Sinne als dem Sehsinn, vor allem dem Gehör- und Tastsinn. Es gilt also, dem Zwei-Sinne-Prinzip folgend Raumelemente und Informationen sowohl klar und deutlich sichtbar zu gestalten, als auch mit anderen Sinnen, das heißt hör- und/oder tastbar, wahrnehmbar zu machen.“ Menschen mit Sehbehinderungen hingegen brauchen gut gestaltete sichtbare Eindrücke/Informationen da sie hauptsächlich ihr (restliches) Sehvermögen nutzen.
Dies könne durch folgende Maßnahmen erreicht werden: gut durchdachte Farb- und Materialauswahl, Beleuchtungsverhältnisse und Raumakustik – visuell kontrastierende Gestaltung von Raumelementen, Vermeiden von Spiegelungen und Blendungen, Vermeiden von Lärm und Hall etc.; das Vermeiden bzw. visuell kontrastierende Markieren/Kennzeichnen sowie taktiles Kennzeichnen bzw. bauliches Absichern von Hindernissen wie Stufen, Glasflächen, Objekte in Brust- oder Kopfhöhe etc.; klar strukturierte und intuitiv erfassbare Orientierungssysteme mit deutlich sicht- und tastbaren Elementen und intuitiv auffindbare und nach dem Zwei-Sinne Prinzip gestaltete Bedienelemente und Informationsmedien wie visuelle Kontraste, klare und deutliche Schriften, Symbole oder Grafiken, tastbare Beschriftung mit Symbolen oder Normal- und Brailleschrift, akustische Wiedergabe von visuellen Signalen und Informationen etc.  „Je früher Experten in Planungsprozesse eingebunden werden, desto besser ist es“, rät Schmidt zu einer möglichst frühen Kontaktaufnahme. „Das spart nicht nur Zeit, sondern auch Geld.“              mn

Lage, Lage, Lage

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Wer ist behindert?

Das österreichische Recht kennt keinen einheitlichen Behindertenbegriff. Für Gleichstellungsfragen gilt die Definition des § 3 Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes (BGStG): „Behinderung (…) ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren.“

Barrierefreiheit!

„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“
(§ 6 Abs. 5 BGStG und § 7c BEinstG)