Ärztehaftung im Lichte des Strafrechtes
Neben der zivil- und teilweise auch verwaltungsrechtlichen Haftung des Arztes hat auch die strafrechtliche Haftung eine große Bedeutung – nicht zuletzt weil der Arzt ohne Abfederung einer Haftpflichtversicherung persönlich die Folgen einer strafrechtlichen Verurteilung zu tragen hat.
Autor: Mag. Gerhard Stingl
Verteidiger in Strafsachen, Stingl und Dieter Rechtsanwälte OG
Kalchberggasse 10/III
8010 Graz
Das Medizinrecht führt zu den Schnittpunkten verschiedener Rechtsgebiete. Selten relevant, aber mit besonderer Tragweite verdienen strafrechtliche Aspekte der Ärztehaftung Aufmerksamkeit, nicht zuletzt weil der Arzt ohne Abfederung einer Haftpflichtversicherung persönlich die Folgen einer strafrechtlichen Verurteilung zu tragen hat. Es gibt kaum einen zweiten Beruf, in welchem eine strafrechtliche Verantwortung auch ohne die Verwirklichung eines Behandlungsfehlers gegeben ist.
Entwicklung einer Defensivmedizin
Bei Betrachtung der strafrechtlichen Haftung des Arztes ist davon auszugehen, dass der Arzt keinen Erfolg schuldet, sondern eine gewissenhafte Betreuung nach Maßgabe der medizinischen Wissenschaft und der ärztlichen Erfahrung mit jener Sorgfalt, die von einem ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Behandlungssituation erwartet werden kann. Man muss sich jedoch stets der besonderen Situation des ärztlichen Berufes bewusst sein, wonach sich der Arzt regelmäßig in Konfliktlagen befindet und Grenzsituationen ausgereizt werden.
Nicht nur die Gefahr der zivilrechtlichen Haftung, sondern insbesondere die Gefahr der Erfüllung eines strafrechtlichen Tatbestandes durch Unterlassen oder Handeln führt in letzter Zeit zur Entwicklung einer Defensivmedizin nach amerikanischem Muster. Diese Defensivmedizin kann auch Absicherungsmedizin genannt werden, wobei die Absicherung durch teilweise unnotwendige Untersuchungen geprägt ist. Der junge Arzt entfernt sich immer weiter von der freien Diagnose und verlässt sich in erster Linie auf Laborwerte und medizinisch-technische Untersuchungsergebnisse. Dies führt unweigerlich zu einer nicht mehr finanzierbaren Verteuerung der Medizin. Statt die strafrechtliche Komponente in den Hintergrund zu drängen, wird nunmehr durch das Verantwortlichkeitsgesetz das strafrechtliche Verfahren als Instrument nicht nur gegen den Krankenhausträger, sondern auch gegen den Arzt, als Mitarbeiter einer Krankenanstalt oder als Organ eines Krankenhausträgers, gestärkt.
Die strafrechtliche Konsequenz sollte nur im schwerwiegendsten Fall eine Rolle spielen – im Sinne einer Strafe als „ultima ratio“. Eine strafrechtliche Verurteilung wirkt unmittelbar und mit voller Härte gegen den Arzt und sein persönliches Umfeld und führt zu einer Verunsicherung und zu einem Passivverhalten dieser Berufsgruppe. Neben der strafrechtlichen Konsequenz hat der Arzt auch mit Verwaltungsstrafen nach dem Ärztegesetz bei Berufspflichtverletzungen (Geldstrafen), aber auch mit einer disziplinarrechtlichen Verfolgung bei Berufs- und Standespflichtverletzungen zu rechnen.
Die Aufgabe des Strafrechtes ist die Regelung des Zusammenlebens der Menschen in der Gesellschaft. Eine Verurteilung, aber auch bereits die Einleitung eines Strafverfahrens, erfüllt einen repressiven und einen präventiven Zweck und ist daher geeignet, das zukünftige Verhalten der Betroffenen, aber auch der Mitglieder der betroffenen Berufsgruppe zu steuern.
Relevante strafrechtliche Bereiche
Nachstehende Bereiche des Strafgesetzbuches sind für die medizinischen Berufsgruppen relevant:
- Leib und Leben (§§ 75 - 78, 80, 81, 83 -90, 92 - 95 StGB)
- Schwangerschaftsabbruch (§§ 96 - 98 StGB)
- Freiheit (§§ 99, 105, 110 StGB)
- Privatsphäre und Berufsgeheimnisse (§§ 121, 122 StGB)
- Religiöser Frieden und Ruhe der Toten (§§ 188 , 190 StGB)
- Strafbare Handlungen gegen die Rechtspflege (§§ 288 - 299 StGB)
Relevante strafrechtliche Haftung besteht bei (ausgenommen vorsätzliches Handeln):
- bedingtem Vorsatz: Der Arzt hält die Tatbestandsverwirklichung ernstlich für möglich und findet sich damit ab.
- fahrlässiger Begehung: Wenn jene Sorgfalt außer Acht gelassen wird, zu der der Arzt nach den Umständen objektiv verpflichtet und subjektiv, also nach seinen persönlichen, geistigen und körperlichen Verhältnissen, befähigt gewesen wäre. Dadurch muss ein Sachverhalt verwirklicht werden, der unter ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt subsumiert werden kann.
Verwirklichung des Tatbestandes erfolgt durch …
- … Tun: Damit ein Handeln einen strafrechtlichen Tatbestand erfüllt, muss dieses Handeln zu einem Erfolg führen (Körperverletzung oder Tod), ausgenommen hiervon ist die Erfüllung des Tatbestandes nach § 184 StGB der „Kurpfuscherei“, wobei das Handeln selbst ohne, dass es zu einem Erfolg führt, bereits strafbar ist.
- … oder Unterlassen: Gemäß § 2 StGB macht sich auch strafbar, wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, obwohl er aufgrund einer ihn im Besonderen treffenden Verpflichtung durch die Rechtsordnung dazu verhalten ist.
Handlungsgebot im Sinne des § 95 StGB (Unterlassung der Hilfeleistung) bedeutet, dass der Arzt eine „Garantenstellung“ und damit die Erfolgsabwendungspflicht hat.
Körperverletzung und Behandlungsfehler
Eine Haftung für eine Körperverletzung ist nur bei nicht sachgerechtem (bei einem Behandlungsfehler) Verhalten denkbar. Ein Rechtfertigungsgrund verhindert die Rechtswidrigkeit des Handelns im Rahmen der Heilbehandlung. Denkbar ist eine strafrechtliche Haftung auch ohne Verwirklichung eines Behandlungsfehlers, nämlich bei Erfüllung des Tatbestandes nach § 110 StGB der „eigenmächtigen Heilbehandlung“ – bei Fehlen einer wirksamen Einwilligung des Patienten in die Behandlung, aber auch bei einer mangelhaften Aufklärung, die zum Wegfall der Einwilligung in die Heilbehandlung führt.
Medizinisch indizierte und lege artis ausgeführte Heilbehandlungen sind keine Körperverletzung, auch dann wenn keine Zustimmung zu diesem Eingriff vorliegt. Dies betrifft jedoch nur Heilbehandlungen im engeren Sinn. Kosmetische Operationen, experimentelle Eingriffe, Organentnahmen, Eizellengewinnung und Geschlechtsumwandlungen stellen hier eine Körperverletzung dar bzw. bedürfen jedenfalls der Zustimmung des Betroffenen.
Festzuhalten ist, dass eine eigenmächtige Heilbehandlung nach § 110 StGB nur auf Verlangen des eigenmächtig Behandelten zu verfolgen ist.
Fahrlässige Körperverletzung im Sinne des § 88 StGB
Voraussetzung für eine Verurteilung nach § 88 StGB ist:
- ein Verstoß gegen eine objektive Sorgfaltspflicht,
- eine subjektive Zumutbarkeit und
- der Erfolg muss sich verwirklichen.
Den objektiven Sorgfaltsmaßstab gibt in einem Strafverfahren meistens ein Sachverständigengutachten im Rahmen einer ex ante Beurteilung im Nachhinein vor. Ein Handeln im „erlaubten“ oder „sozial adäquaten“ Risiko schließt objektive Sorgfaltswidrigkeit aus. Risikoeingriffe, die lege artis durchgeführt werden und ein Risiko erfüllen, stellen keine Tatbestandsmäßigkeit im Sinne des § 88 StGB dar. Der grundlegende Maßstab sind die „Regeln der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung“. Dieser Maßstab befindet sich ständig in Bewegung und ist auch vom Umfeld der medizinischen Behandlung (Uniklinik oder Landeskrankenhaus) abhängig. Grundsätzlich darf ein Arzt nur jene Behandlungen ausführen, zu welchen er sich imstande fühlt bzw. welche er in der Lage ist ordnungsgemäß zu erbringen.
Weitere Besonderheiten
Laut Vertrauensgrundsatz kann sich grundsätzlich bei einem arbeitsteiligen Zusammenwirken der Arzt darauf verlassen, dass der Dritte seine Leistungen ordnungsgemäß erbringt. Eine Haftung ist jedenfalls bei Erkennbarkeit der Sorgfaltspflichtverletzung gegeben.
Es gibt eine horizontale und eine vertikale Arbeitsteilung bzw. Pflichtverteilung. Bei der horizontalen Pflichtverteilung kann der Facharzt darauf vertrauen, dass ein anderer Facharzt entsprechend der ärztlichen Kunst seine Leistung erbringt. Ein solcher Vertrauensgrundsatz bei der horizontalen Arbeitsteilung gilt nicht bei Ärzten in Ausbildung, hier ist der behandelnde Arzt verpflichtet eine Überprüfung durchzuführen. Bei der vertikalen Arbeitsteilung besteht eine Anordnungs- und Überwachungspflicht.
Laut Kausal- bzw. Ursachenzusammenhang muss der Behandlungsfehler ursächlich für den Erfolg (Schaden) sein. Wenn man sich den Behandlwungsfehler wegdenkt, muss auch der Erfolg wegfallen, um eine Ursächlichkeit zu bejahen. Sollte der Erfolg trotzdem eintreten, ist eine Ursächlichkeit nicht gegeben.
Zu beachten ist außerdem der Adäquanz- bzw. Risikozusammenhang: Der Erfolg (Schaden) ist dem Arzt nicht anzurechnen, wenn der Kausalverlauf außerhalb des Rahmens der gewöhnlichen Erfahrung liegt. Zuzurechnen ist der Erfolg dann, wenn zum Beispiel bei einer Reoperation nach einem Behandlungsfehler abermals ein Behandlungsfehler zum Tod des Patienten führt.
Ein rechtmäßiges Alternativverhalten ist gegeben, wenn der behandelnde Arzt nachweisen kann, dass der Erfolg (Schaden) auch bei einem korrekten Verhalten eingetreten wäre.
Gemäß § 6 StGB – subjektive Vorwerfbarkeit – handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist. Der Täter muss subjektiv fähig sein, die objektive Sorgfalt zu erfüllen. Der Täter muss das Potenzial an geistigen und körperlichen Fähigkeiten dazu aufweisen. Als Einlassungsfahrlässigkeit ist zu bezeichnen, wenn der behandelnde Arzt eine Aufgabe übernimmt, die er nicht erfüllen kann bzw. zu deren Erfüllung er nicht ausgebildet und fähig ist. Schon dieser Umstand ist strafbar, wenn dadurch ein Erfolg eintritt.
Eine besondere Situation besteht, wenn „die Zumutbarkeit eines rechtmäßigen Verhaltens nicht gegeben ist“. Das ist etwa dann der Fall, wenn ein unter starkem Stress stehender, übermüdeter Arzt eine OP übernimmt, da kein anderes ärztliches Personal verfügbar ist. Ein möglicher Behandlungsfehler in dieser Situation ist nicht schuldhaft, wobei der Fehler auf die Übermüdung zurückgeführt werden muss, deren Ursache der lange Dienst bzw. die berufliche Situation sein muss.
Zur Erfüllung des Tatbestandes der eigenmächtigen Heilbehandlung nach
§ 110 StGB ist kein Behandlungsfehler notwendig, sondern es reicht aus, wenn keine Einwilligung des Patienten für die ärztliche Behandlung vorliegt bzw. aufgrund einer mangelhaften Aufklärung die Einwilligung wegfällt.
Störung der Totenruhe nach § 190 StGB ist jede Misshandlung des Körpers eines Verstorbenen, also auch eine Obduktion oder eine Entnahme von Organen. Straffreiheit gewährleistet das Organtransplantationsgesetz, wenn kein Widerspruch vorliegt und der Rechtfertigungsgrund nach § 25 Abs. 2 KAKuG bei sanitätspolizeilicher oder staatsanwaltlicher Anordnung oder zur Wahrung öffentlicher oder wissenschaftlicher Interessen – zum Beispiel bei einer diagnostischen Unklarheit.